Samstag, 1. November 2014

Neologie J. S. Semler, Vater der historisch-kritischen Theologie Oder wie die historisch-kritische Theologie im 18. Jahrhundert begann

Neologie ist für mich ein neuer Begriff.

Semler, ein Mann, der im Pietismus aufgewachsen ist und zeitlebens so predigte, konnte gleichzeitig das "Wöllnersche Edikt" von 1788 unterschreiben und seine "wissenschaftliche" Art der Theologie ausleben. 

"Für K.F. Bahrdt schlägt beim Lesen von Semlers Schriften 'die Sterbeglocke meines Glaubens'". (Seite 133 2000 Jahre Kirchengeschichte, 4. Band von Prof. Dr. theol. Armin Sierzyn., vor seiner Pensionierung auch Dekan und ref.-evang. Pfarrer der zürcherischen Landeskirche)

Was hat Semler so bahnbrechendes getan?

Dazu aus dem oben erwähnten Buch Seite 129-132:

": J. S. Semler, Vater der historisch-kritischen Theologie

Alle Genannten an Bedeutung überragt Johann Salomo Semler (1725 - 1791)., Durch Baumgartens Vermittlung seit 1752 Professor in Halle. Semler ist der unbestrittene Vater der historisch-kritischen Theologie. An der Orthodoxie kritisierte er zu Recht, sie habe aus der Bibel einen scholastischen 'Einheitsbrei' gemacht. Dasselbe beanstanden auch Bengel und Oetinger, aber sie ziehen daraus andere Folgen.
Semler sucht einen neuen Zugang zur Bibel. Wie schon den mystischen Spiritualismus (und auch Baumgarten) ist ihm die Heilige Schrift als solche nicht mehr das Wort Gottes. Die Bibel enthält bloss noch das Wort Gottes. 'Wir lange will man uns Christen täuschen mit solchen Larven, die  Bibel sei ganz Gottes Wort?' ? Heilige Schrift und Wort Gottes ist gar sehr zu unterscheiden'; Gottes Wort ist in der Bibel nur 'hie und da' aber nicht 'durch und durch' enthalten. Die Heilige Schrift ist zunächst ein vorderorientalisches Literaturprodukt wie viele andere; sie darf darum mit profanwissenschaftlichen Methoden untersucht werden, ohne dass ihre eigentliche Botschaft darunter leidet ,im Gegenteil. Semler stellt als Erster die Bibel 'unter die Kategorie des Historischen' (Heussi). Damit hat sich die B ibel der Kategorie eines neuen Bewusstseins zu stellen und wird in deren Licht kritisiert. Mit Semler vollzieht sich die Wende vom altevangelischen zum neuprotestantischen Schriftverständnis (Hirsch). 
Bisher war die Heilige Schrift selber das Licht, das die Menschen und ihre Werke erleuchtet. Nun wird dieses Licht unter die 'Kategorie des Historischen' - ein Produkt der aufgeklärten Vernunft - gestellt, auf dass es noch heller leuchte.

Karl Barth spricht treffend von einem 'geistigen Eroberungstrieb'. Der Mensch des 18. Jahrhundert 'beginnt,sich der ganzen Vergangenheit gegenüber eine grundsätzliche Ueberlegenheit zuzuschreiben.' (K.  Barth, a.a.O., 39f.)
(Mein Meinung: Hochmütig über vergangene Zeiten sich zu erheben, weil man glaubt intelligenter und 'aufgeklärter' zu sein.)
Da nun alle 'Menschen fündlein' relativ und zeitgebunden sind, leidet fortan die neuprotestantische Kirche unter der Fuchtel dieser ziemlich intolerant daherkommenden Methode am Problem des Relativismus und des Subjektivismus.
Albert Schweizer hat schon 1906 nachgewiesen, dass die Resultate dieser Art Bibelstudium nichts weiter sind als Projektionen der je eigenen Vorurteile und Wünsche. Dasselbe gilt auch für das ganze Unternehmen der Neologie. 
Spätestens seit der Romantik wissen wir, dass die Aufklärung wenig Sinn und Geschmack für Geschichte besitzt. Die Aufklärer sind auch nicht besondere Heroen der Wahrheit. Ihr scheinbar so eminentes Interesse an der 'Geschichte' dient der dogmatischen Absicht, die staubigen Kammern der altevangelischen Dogmatik zu verlassen. Man will nicht mehr so glauben wie die Väter. Recht unzimperlich werfen die Neologen (und erst recht die Rationalisten) heiligste Glaubensinhalte der 1700-jährigen Christenheit auf den Müllhaufen des Aberglaubens. Fortschrittsbewusst erhebt sich der aufgeklärte Protestantismus gegenüber dem alten Glauben zu einer neuen, polarisierenden Weltanschauung und Glaubensart. Der überlieferte biblisch-reformatorische Glaube wird nur halbherzig bis gar nicht in die neue Toleranz einbezogen (Lessings Nathan).
Der Aufklärungs-Umbruch ist nur vordergründig ein 'vorurteilsfreier' Prozess. In Tat und Wahrheit vollzieht sich eine 'Verwissenschaftlichung' oder Philosophisierung des Christentums. 
Man 'will und braucht und sucht jetzt ein natürliches und vernünftiges Christentum'. Fortan können auf dem von Semler vorgezeichneten Grund und Weg Offenbarung, Theologie und Kirche in tausend Facetten als Funktionen der Anthropologie verstanden und betrieben werden. Dies entspricht dem Geist der Aufklärung.
Semler begründet seine neue Art des Bibelzugangs in seiner dogmatischen Schrift 'Versuch einer  freieren theologischen Lehrart' (1777) und in der vierbändigen 'Abhandlung 'Abhandlung von freier Untersuchung des Canons' (1771/17775). Er unterscheidet Theologie und Religion und fordert eine doppelte Lehrart. Als Theologe und Schriftsteller will er frei der wissenschaftlichen Wahrheit dienen, als Prediger aber muss er sich an die Bekenntnisse seiner Kirche halten. Demgemäüss unterschreibt Semler 1788 das konservative 'Wöllnersche Edikt? der Regierung zum Schutze des Glaubens.
Die portestantische Theologie des 18. Jahrhunderts sieht nach Semler nur noch mässige Profile; viele von ihnen sind Nachbeter von Immanuel Kant. Der eingtiche Erbe Semlers lehrt erst 50 Jahre später in einer neuen Zeit in B erlin. Es ist der 'Kirchenvater des 19. Jahrhunderts', und sein Name heisst Daniel Errnst Friedrich Schleiermacher."

Daher können manche evangelische Predigten so anders klingen, als sie ein Luther, Calvin, Zwingli oder Bucer machten. Ist es eine Ironie der Geschichte, dass die Kirchen der Reformation, welche die philosophische Brille zum Bibelstudium ablegen wollten, wieder eine neue, noch intensivere Brille anlegten, als es die römisch-katholische Kirche tat?

"Was soll aber aus den armen Gewissen werden, die eine feste Gewissheit des ewigen Lebens suchen, wenn alle Verheissungen, die darüber bestehen, allein auf Menschenurteil beruhen?" schreibt Calvin in seiner Institutio I,7,1. 
Calvin würde uns wohl auch das zurufen (s. ebenfalls Insitutio I,7,1):

"Indessen hat sich bei vielen der verderbliche Irrtum eingeschlichen, die Schrift habe nur soviel Gewicht, als ihr das Gutdünken der Kirche zugestehe. Als ob Gottes ewige und unverletztliche Wahrheit auf menschliche Meinung gegründet wäre! Man spottet dabei des Heiligen Geistes und fragt: 
'Wer verbürgt uns, dass diese Schriften von Gott stammen? Und wer versichert uns, dass sie heil und unversehrt bis in unsere Zeit übergekommen sind? Wer soll uns überzeugen, dass das ein Buch in Ehrfurcht anzunehmen, das andere auszuschliessen sei? Wer - wenn nicht die Kirche...."

Vor 500 Jahren produzierte dies eine Tyrannei der Kirche, wie Calvin weiter schreibt. Dies mag heute bei uns kein Problem mehr sein. Aber heute wie damals schafft diese Denkweise bei vielen der Zweifel an der Gewissheit des ewigen Lebens, es beruhigt nicht das Gewissen sondern treibt zum Verdrängen und schafft ein Verlorensein in den eigenen Wünschen und/oder den Wünschen anderer. Bei einigen trennt es, wie bei Semel sein Denken und Glauben, was dann die merkwürdigen Ergebnisse in der Ethik erklärt.  Mit diesem Denkmuster ist der Moderne (und mittlerweile Postmoderne) Mensch seinem beschränkten Verstand ausgeliefert. Selbst wenn Jesus vor ihnen leibhaftig stehen würde, würden sie ihn mit ihrem Verstand leugnen! Denn was nicht sein darf, ist auch nicht (wobei ich sicher bin, dass viele mehr nur Mitläufer sind und sich von einem solchen Wunder doch beeinflussen lassen könnten.) Letztendlich führt der Rationalismus die oberflächliche Postmoderne: Denn wenn alles so zweideutig ist, und eigentlich doch keinen letztendlichen Sinn hat, wird alles relativ. Dann ist es das Beste, das hier und jetzt zu geniessen und nicht zuviel nachzudenken, da es nicht wirklich mehr gibt. 

Wer sagt ihnen, dass sie als Menschen wertvoll sind, weil sie Gottes Ebenbild sind - und zwar wirklich? Wer erklärt ihnen, dass jeder Mensch gerecht behandelt werden muss, ansonsten der Gott der Liebe wütend wird? Wer sagt ihnen, dass Gott ausserhalb des Erschaffenen steht? Dass Gott ausserhalb von Zeit und Raum ist und dass er viel mehr ist als unser Verstand fassen kann? Daher können wir ihn weder wie ein Insekt untersuchen, noch  können wir ihn ganz begreifen. Wir können aber dennoch einiges mit unserem Verstand verstehen, auch dass wir nicht alles verstehen und fassen können. Wir können Gott bitten, dass der Heilige Geist uns beim Bibellesen hilft, dass wir etwas von Gottes-Unfassbarkeit verstehen können. Dass wir ihn als transzendent und als eine Person, oder besser als eine dreieinige Person sehen können (was natürlich selber wieder ein Geheimnis umfasst). Das wir beginnen zu begreifen, dass der allmächtig und ewige Gott mächtig und Liebe ist und er daher sich selber für unsere Sünden zum Sündenbock machte und damit die Forderung der Gerechtigkeit Gottes erfüllt hat, damit wir durch Jesus Christus und sein Opfer (sein verflossenes Blut, was das Leben symbolisiert), Zugang zum Heiligen Gott Vater haben. Ja noch mehr, selbst unser Körper wird durch das Wohnen von Gott dem Sohn, Gott dem Vater und Gott dem Heiligen Geist zu einem Tempel  Gottes.

Die Reformatoren konnten nicht beweisen, dass ihre Sicht richtig ist. Sie sprachen aber vom Selbstzeugnis der Heiligen Schrift. Schon Jesus sagte, dass wenn man sich auf Jesus einlässt, wie die Bibel sagt, wird man erkennen, ob es wahr ist oder nicht. Die daraus entstehende Weisheit ist dann viel mehr als nur Wissen. Denn ein sehr intelligenter Menschen kann trotzdem ein Tor sein...

"Nun ergehen aber nicht alle Tage Offenbarungsworte vom Himmel, und es hat Gott gefallen, allein in der Schrift seine Wahrheit zu stetem Gedächtnis zu erhalten. Deshalb kann die Bibel nur dann den Gläubigen gegenüber volle Autorität erlangen, wenn sie gewiss wissen, dass sie vom Himmel herab zu ihnen kommt, als ob Gottes eigene Stimme hier lebendig vernommen würde." (Calvin in Insitutio I,7,1)

Auch wenn ich nicht alles in der Bibel erfassen kann, so glaube ich doch, dass der Heilige Geist mit den Schreibern der Bibel so kommunizierten, dass ihre Schriften so entstanden, dass sie Gottes Wort sind. Dabei waren die Schreiber bei vollem Verstand und haben anhand ihres Charakters und ihrer Zeit Gottes Wort niedergeschrieben.  Diese Schriften wurden wiederum von seinem Volk gesammelt. Noch heute ist es beeindruckend, wie die Juden das Alte Testament, ihr Tenach sorgsam behandeln. Auch das Neue Testament wird von den Christen der verschiedensten Denominationen mit aller Sorgfallt aufbewahrt. Beweisen kann ich es genausowenig wie vor 500 Jahren die Reformatoren. Aber ich merke, dass die Aussagen über mein Leben, über den Wert des Menschen, über unsere Probleme und die angebotene Vergebung und Versöhnungsmöglichkeit mit Gott wahr ist.
Es mag war sein: Gottes Volk hat viele Fehler gemacht. Gerade diese Woche habe ich gelesen, wie selbstverständlich die Bibel über rituelle Sünden der Familie Arons spricht. Aber so sicher dies ist, so sicher ist auch die Vergebung und Versöhnung mit Gott! Daher können wir fröhliche Sünder sein, die auch Busse tun über ihre unvollkommenen guten Werke, weil sie wissen, dass sie der ewige Gott zu seinen geliebten Kinder gemacht hat: und das geschah ohne Leistung: Gnade, d.h. ein reines Geschenkt! Gott allein gehört die Ehre und unser Dank in Ewigkeit!
AMEN.

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