Persönlich glaube ich, dass die Bibel Gottes Wort ist. Vor 500 Jahre kritisierte mal jemand, dass die Reformatoren einen "papierenen Papst" haben, nämlich die Bibel. Das ist gar nicht mal so schlecht. Die Bibel ist das von Gott inspirierte Wort. Das bedeutet, es ist wohl von Menschen geschrieben und man merkt den jeweiligen Schreiber und Zeitgeist. Zugleich schaffte Gott aber das Wunder, dass der Heilige Geist die Schreiber, dass schrieben, was Gott wollte. Dieser komplexe Vorgang ist vielleicht mit diesen Worten zuwenig getroffen. Aber es gibt doch eine Ahnung, dass wir, um Gottes Wort richtig zu verstehen, nun auch den Heiligen Geist benötigen. Interessant ist nun, dass der Heilige GEist gerade diese Bibel braucht, um direkt zu uns zu sprechen. D.h., es kann passieren, dass wir die Bibel lesen, und uns diese Bibelstelle zu klar wird, dass wir merken, dass Gott selber zu uns spricht. Darum kann Johannes Calvin sagen, dass die Bibel die Schule des Heiligen Geistes ist. Also gerade indem wir die Bibel lesen, können wir mehr vom Heiligen Geist lernen. Dazu gehört auch unsere Selbsterkenntnis. So fördert das Bibellesen unsere Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis. Hierzu dürfen wir auch ganz einfach Gott bitten, dass er uns beim Bibellesen hilft und dieses Wunder tut.
Die Reformatoren vor 500 Jahren hatten ein interessantes Prinzip: Sie sagten, Gottes Wort ist die Grundlage und hat erste Priorität. Dabei muss man die gesamte Aussage der Bibel berücksichtigen. D.h., dass die Bibel sich selber auslegt. Wenn wir also eine unklare Bibelstelle haben, erklärt eine klare Bibelstelle diese Unklarheit.
Die Bibel hat also erste Priorität.
Als zweite Priorität galten für die Reformatoren die Kirchenväter. Sie waren näher am Geschehen dran. Aber auch sie müssen anhand der Bibel überprüft werden. Dies war ein Streitpunkt mit der römischen Kirche, welche die Kirchenväter auf die gleiche Höhe der Bibel stellen wollten. Daraus gibt es die beinahe paradoxe Situation, dass Johannes Calvin mit den Kirchenvatern gegen diese römische Tendenz argumentierte: Denn die Kirchenväter selber wollten anhand der Bibel überprüft werden.
Die dritte Priorität waren für die Reformatoren die eigenen konfessionallen Glaubensbekenntnisse, die anhand der Kirchenväter (2. Priorität) und natürlich vorallem anhand der Bibel überprüft werden müssen (1. Priorität). Und leider ist irren menschlich. Darum schreibt Heinrich Bullinger in seinem persönlichen Glaubensbekenntnis, dass von vielen so akzeptiert wurde, dass sie es mitunterschrieben und in der Schweiz bis ins 19. Jahrhundert verbindlich war und es noch in Oesterreich und Ungarn verbidnlich ist, dass man sein Bekenntnis (= 3. Priorität), anhand der Bibel überprüfen muss. Mit "wir" ist Heinrich Bullinger und die Reformierten gemeint, die sich hinter dieses Zweite Helvetische Glaubensbekenntnis stellten:
"Vor allem aber bezeugen wir, dass wir immer völlig bereit sind, unsere Darlegungen im allgemeinen und im besonderen auf Verlangen ausführlicher zu erläutern, und endlich denen ,die uns aus dem Worte Gottes eines Besseren belehren, nicht ohne Danksagung nachzugeben und Folge zu leisten im Herrn, dem Lob und Ehre gebührt. Gegeben am 1. März 1566." (S. 12)
Als vierte Priorität würde ich meine eigene Erkenntnis einordnen. Ich staune manchmal, wenn jemand sagt, dass er nur an die Bibel glaube. Praktisch kann das das Gleiche sein, wie ich mit meinen vier Prioritäten glaube, einfach etwas abgekürzt. Doch manchmal fällt mir auf, dass damit auch gemeint sein könnte, dass die vierte Priorität, das eigene Erkannte mit Gottes Wort gleichgesetzt wird. Und das empfinde ich als gefährlich. Natürlich: Wer an Christus glaubt und nicht auf seine eigene Leistung sondern auf die Leistung von Jesus Christus traut, wird gerettet sein. Aber unsere Irrtümer im Glauben können unsere Lebensqualität einschränken. Ich staune, wie die alte Kirche über Origenes sagen konnte, dass er trotz einiger sehr erheblichen Irrlehren, ein wahrer Christusgläubiger war (soweit wir das als Menschen überhaupt können und dürfen.). Nach unserer Erkenntnis hatte er Jesus wirklich lieb. Er hat sogar viele zum Glauben an Jesus Christus helfen können. Aber er hatte ernsthafte Irrtümer vertreten, die bis heute zu Irrungen führen. Es führte auch dazu, dass sich Origenes sehr weh tat. Vielleicht hat er diesen Irrtum (seine Entmannung) sogar noch erkannt. Aber wie Schrmezhaft musste das sein? Darum ist gesunde Lehre wichtig für ein gesundes Leben. Und daher ist es auch wert, dem nachzugehen. Aber in allen Streitgesprächen darüber, was eine Form der Wahrheitsfindung sein kann (manchmal auch nicht, weil es auch sinnlose Streitfragen gibt), so darf diese Prioritätenliste nicht vergessen werden: Es gibt Heilsnotwendige Fragen, wichtige Fragen und Fragen, die uns Gott völlige Freiheit gab. Es gibt Tendenzen unter Christen, die gerne alles zu Heilsfragen machen. Das erschwert aber erheblich, die Sachlage und dient nicht der Wahrheitsfindung. In diesem Sinne finde ich es auch gut, dass wir unterschiedliche sichtbare Kirchen haben, wo weniger wichtige Aspekte verschieden ausgelebt werden. Das kann zur Entspannung führen. Letztendlich gab es dies auch in der alten Kirche, wo verschiedene Strömungen vorhanden waren - und vermutlich jede Kirche und christliche Gemeinschaft hat unterschiedliche Strömungen. Martin Bucer, der Reformator von Strassbourg, meinte, dass er niemand finde, der in jedem Punkt als Christ übereinstimme.
Ein Beispiel: Ich wurde gestern gefragt, was die Kirche über die letzte Zeit lehre. Das konnte ich nicht so eindeutig sagen, weil ich von keiner so genauen Lehre weiss. Die verschiedenen Glaubensbekenntnisse, die ich kenne, sind sehr knapp gehalten. Ich weiss, dass die meisten Christen an den Amillianismus glauben und glaubten. Unter den Evangelikalen verbreite sich ab Anfang des 20. Jahrhundert eine Form des Prämilianismus, der Dispensationalismus, der im 19. Jahrundert entstanden ist. Viele FEG-Prediger vertreten eine abgeschwächte Form des Dispensationalismus. Persönlich finde ich diese Variante problematisch, weil er nicht der Gesamtaussage der Bibel entspricht (Der gemässigte Dispensationalismus versucht dies zu korrigieren.). Und er entspricht nicht einmal den historischen Prämillianismus (Der lehrte nicht, dass die Christen vor der grossen Drangsal entrückt würden.)
Hinzukommt, dass beim Thema Eschatologie, der Lehre der letzten Dinge, die Bibel sich nicht so genau äussert, dass man damit einen genauen Fahrplan ablesen könnte. Jesus warnt sogar davor, dass niemand den letzten Tag berechnen soll, weil hier auf dieser Welt das niemand weiss. Gott hat also in der Bibel ganz bewusst nicht alles so deutlich offenbart. In der Bibel selber merkt man ein Erstaunen, dass Jesus nicht schon zu Lebzeiten der ersten Christen zum zweiten Mal gekommen ist. Petrus geht u.a. in seinen Briefen im Neuen Testament darauf ein. Auch wenn wir die Vorhersagen zu Jesus Christus nehmen und seinem ersten Kommen, so war dies für die alte Kirche nicht so klar. Bis heute soll es jüdische Theologen geben (die nicht glauben dass Jesus Christus ihr Messias ist), die Mühe haben, weil das Alte Testament wie von zwei Messias schreibt: einer der leidet und einer der triumpfiert. Genau diese Mischung sehen wir beim ersten Kommen von Jesus und erleben wir in dieser Zwischenzeit, bis dann Jesus triumpfierend zum zweiten Mal kommt. Nach dem Eintreffen, versteht man es richtig, wie es gemeint ist. Das liegt auch am Charakter der Offenbarung Gottes. Gott hat seit dem Sündenfall immer mehr offenbart. Die allersten Verheissung an Adam und Eva, dass ein Sohn von Eva der Schlange den Kopf zertreten würde und selber in die Ferse gebissen werde, deuten auf Jesus Christus hin. Dies wurde aber weder von uns Menschen und vermutlich auch nicht von den Engeln verstanden. Selbst der Teufel wird es nicht verstanden haben, da er mit der Kreuzigung von Jesus (vermutlich) sogar glaubte, gesiegt zu haben. Dabei erfüllte sich dort die Erfüllung und der Teufel, der unser Tod will und der Tod, der der Stachel der Sünde ist, wurde besiegt. Natürlich ist dies nun in einem geistlichen Sinne, in einem Schon-jetzt-und-Noch-nicht-Aspekt. Wenn Jesus dann zum Zweiten Mal kommen wird, wird auch das "Noch-Nicht" wegfallen.
(Aber man kann natürlich schon Ermutigung für die letzte Zeit durch die Bibel erhalten: Zum Beispiel, dass schlimme Zeiten wie Wehen der Geburt der neuen Zeit, des Reiches Gottes sind. Und es ist ein Prinzip Gottes, dass er das Böse immer wieder einschränkt. Danach war fertig. Würde das Gott nicht machen, würde das Böse so wüten, bis es kein Leben mehr gäbe.)
Aus diesen Gründen kann Calvin sogar vom gelehrten Nicht-Wissen sprechen. (s. Institutio). Wir wissen nicht alles, weil uns Gott noch nicht alles offenbart hat. Und selbst was er uns alles in der Bibel offenbart hat, ist ein Projekt des Lernens, dass wir bis zu unserem Tode oder der zweiten Wiederkunft von Jesus Christus nicht beenden werden können. Aber dann, wenn Jesus wiederkommt, werden wir das wissen (oder lernen?), was wir noch nicht lernen konnten. So ist es gut, zu lernen, zu leben, beschenkt zu werden, Gottes Gaben zu geniessen, als Form der Dankbarkeit. Dabei staune ich immer wieder, wenn ich etwas Neues lerne und Erfahre. Es ist wie ein Glücksgefühl. Es ist ein Glücksgefühl und kann dafür Gott die Ehre geben.
(PS 3: am 23. April 2016 habe ich zum Tehma Tausendjähriges Reich Millennium Eschatologie etwas veröffentlicht.)
Hier noch Gedanken in Englisch von Timothy Keller, der noch genereller ans Thema herangeht