Samstag, 22. März 2014

Nehemia



Nehemia

Ueberblick
1. Gedanken zu Nehemia
2. Zum Buch Nehemia: Hintergründe
3. Anhang

Gedanken zu Nehemia
Ein beeindruckender Mann. Er war Mundschenk (1,11 und 2,1) des Königs Artasasta (1). Er hört, wie die Juden in Jerusalem leben mussten. „Die Uebriggebliebenen, welche nach der Gefangenschaft übriggeblieben sind, befinden sich dort im Lande in grossem Unglück und in Schmach; und die Mauern der Stadt Jerusalem sind zerbrochen und die Tore mit –Feuer verbrannt.“ (Nehemia 1,3b)

Dies traf Nehemia so sehr, dass er mehrere Tage vor Gott weinte, betete und fastete. (Nehemia 1,4). In den folgenden Versen hört man, wie er betete: Er ruft Gottes Allmacht an, seien Macht und Schrecklichkeit und seine Barmherzigkeit, denen die ihn lieben und seine Gebote halten.“ Dabei schreckt er nicht vor dem Thema der Sünde zurück, sondern stellt sich ihr, indem er sie nennt und um Vergebung für sich und sein Volk, dass Gottes Volk ist, bittet. Dabei vergisst er nicht, Gott an seine Versprechen zu erinnern (Nehemia 1,8-10). Zu seiner Bitte gehört auch, dass Nehemia vor dem König Artasasta Barmherzigkeit für die Juden erhält.
Als nun Nehemia dem König den Wein reichte, merkte dieser, dass Nehemia traurig war. Es war das erste Mal, dass Nehemia vor den König in Trauer erschien. Daraus ergibt sich ein Gespräch, indem der König Nehemia erlaubt als Stadthalter nach Jerusalem zu gehen und die Mauern von Jerusalem wieder aufzubauen. Damals waren Mauern wichtig: Sie schützten eine Stadt vor Dieben und Ueberfällen. Ohne diesen Schutz war man den Anfechtungen dieser Zeit ohnmächtig ausgeliefert. 

Nun liest man, wie Nehemia nach Jerusalem kommt und sich eine Uebersicht macht. Er plante und begann den Plan umzusetzen. Von Anfang an, gab es Widerstand. Es begann mit Verhöhnung (Nehemia 2,19). 

Als weitere Fortschritte im Mauerbau erzielt wurden, wurde Sanballat „zornig und sehr entrüstet und spottete über die Juden“ (Nehemia  4,1b). Interessant ist, dass hier jemand zornig wird, weil ihm der Erfolg der Juden missfällt. Er scheint den Erfolg so zunichte machen zu wollen, indem er ihn verhöhnt. Das ist ein Bild, das wir Christen auch für unser Leben anwenden können: Wenn wir mit Gott leben und unser Leben aufbauen und unseren Schutz durch Gott erhalten, wird es Stimmen geben, die uns verhöhnen, weil sie uns diesen Erfolg und diesen Schutz nicht gönnen wollen. Dies geschieht vermutlich unbewusst. Vielleicht war es auch die Furcht, Gotte Volk nicht mehr einfach manipulieren zu können. Eine geistliche Macht – eine andere als jene von Gott – scheint sie dazu anzutreiben. Dabei sind diese Menschen keine Feinde, sondern nur arme Opfer eines widergöttlichen Geistes, der sie nicht in die Freiheit der Kinder Gottes entlassen möchte. Denn in der Zeit des Neuen Bundes, indem wir leben, wäre es ja jedem möglich, sich Gott anzuschliessen, wenn er denn möchte. (Allerdings war dies ja auch im Alten Testament möglich…) Dafür braucht es allerdings eine Befreiung des Willens durch den Heiligen Geist. Darum müssten wir Christen für solche Menschen beten. Im alten Testament betet Nehemia noch etwas anders:

„Höre, unser Gott , wie verachtet wir sind, und lass ihre Schmähungen auf ihren Kopf fallen und gib sie der Plünderung preis im Lande der Gefangenschaft; und decke ihre Schuld nicht zu und lass ihre Sünde vor dir nicht ausgetilgt werden; denn sie haben die Bauleute geärgert!“ (Nehemia 4,4+5)

Nehemia spricht einen Fluch aus. Das sollten wir als Christen nicht machen. Im neuen Testament wird ein Fluch nur sehr zurückhaltend ausgeübt (zum Beispiel als Paulus auf Zypern einen Zauberer zum Schweigen brachte, der ihm andauernd drein redete.).
Warum diese Zurückhaltung vor Verfluchungen? Jesus Christus wurde am Kreuz ein Fluch, damit wir von unseren Verfluchungen frei werden. Wir sind als wiedergeborene Christen von aller Schuld befreit wurden. Nun sollen wir diese gewonnene Freiheit weitertragen. Paulus drückt es ja dann auch so aus, dass wir als Christen nicht gegen Menschen, sondern die dahinter liegenden Mächte kämpfen. Daraus ergibt sich der einfache Slogan: Gott hasst die Sünde, liebt aber den Sünder. Denn auch wir Christen sind wie alle anderen nur Sünder und alleine die Gnade Gottes macht der Unterschied. Dass weiss wohl auch schon Nehemia. Denn schon im alten Testament wird bezeugt, dass Gott nicht den Tod des Sünders möchte, sondern dass er umkehrt und lebe. Darum betet Nehemia – gar nicht liebevoll – dass Gott ihre Sünden nicht zudecken soll…. Aber das ist, seitdem Jesus am Kreuz gestorben ist, nicht mehr unser Amt. 

Unser Amt ist zu segnen und für die Menschen das Beste zu bitten. Das Amt des Verfluchens gehört einem anderem: Dem grossen Ankläger: Satan. (Wobei natürlich Gottes Gesetz Segen oder Fluch verheisst. Gottes gute Gebote schaffen leben. Sich dagegen zu wenden schafft Leid, einen Fluch. (Was aber nicht heissen soll, dass jedes Leid ein Fluch ist.) Und es ist Satan, der Gott an diese Flüche gerne erinnert. Jesus macht das Gegenteil, indem er den Fluch auf sich nahm und als ein gerechtes Opfer den Fluch auf sich nahm und so die Forderung des Gesetzes Gottes erfüllte. Gott selber trägt so unseren Fluch, wenn wir das wollen. Wenn wir dies nicht wollen, bleiben wir im gerechten Fluch des Gesetztes. Im tieferen Sinn betet also Nehemia, dass diese Menschen in diesem Fluch verharren sollen, damit sie ihre gerechte Strafe erlangen. Ich schlage vor, dass wir die Rache Gott überlassen sollen und wenn immer möglich darum bitten, dass Gott uns und die anderen Menschen vom Bösen befreit, wie im Vater unser.)

Nun Nehemia setzt sich also 100% für das Gottesvolk ein. Da er weiss, dass der Wiederaufbau die Menschen viel kostet, verzichtet er auf ein Gehalt für sich als Stadthalter von Jerusalem. (Nehemia 5,14). Zudem hat er 150 Mann an seinem Tisch aus seinen privaten Finanzen mit Essen und Wein versorgt (Nehemia 5,17-18).

Was mich beeindruckte, waren die vielen Probleme, die Nehemia überwinden musste. Sie kamen von Menschen, die dem Gottesvolk feindlich gesinnt waren UND aus dem eigenen Gottes Volk. So mussten sie ab einer gewissen Zeit mit Waffen an der Mauer bauen (Nehemia 5,18). Es wird auch mit Verleumdungen gegen Nehemia operiert (Nehemia 6,5-8). Aber sogar die eigenen Propheten Gottes wurden bestochen und wollten Nehemia Angst einjagen (Nehemia 6,9-14).

Im Kapitel 5 wird noch eine schwere Anfechtung beschrieben: Die Reicheren des Volkes Gottes bedrückten die Armen des Volkes Gottes. War es möglich, dass die Perversion des Bösen so weit geht, dass sich sogar Gottes Kirche zu soviel unrecht herunterlässt? Es war möglich. Nehemia sprach es an und legte seinen Finger auf den wunden Punkt. Vorher wird beschrieben, wie dieses Unrecht auf Nehemia wirkte:

„Als ich aber ihr Geschrei und diese Worte hörte, war dich sehr zornig.“ (Nehemia 5,6)
Nun reagiert Nehemia aber nicht mit einem Fluch, da er sein Volk, auch die Sünder liebte. Sondern er „schallte“ sie:

„Und mein Herz überlegte in mir, und ich schalt die Vornehmsten und Vorsteher und sprach zu ihnen: Treibet ihr Wucher an euren Brüdern? Und ich brachte eine grosse Gemeinde wider sie zusammen und sprach zu ihnen:

Wir haben nach unserem Vermögen unsere Brüder, die Juden, welche an die Heiden verkauft waren losgekaut; ihr aber wollt sogar eure Brüder verkaufen, so dass sie sich an uns verkaufen müssen?

Da schweigen sie und fanden keine Antwort.

Und ich sprach: Was ihr da tut, ist nicht gut. Solltet ihr nicht in der Furcht unseres Gotts wandeln wegen der Schmähungen der Heiden, unserer Feinde?“ (Nehemia 5,7-9)

Dann geht Nehemia mit gutem Beispiel voran und erlässt seinen Schuldnern die Forderungen (Nehemia 5,10) und fordert die Reichen auf:
„Gebet ihnen heute noch ihre Aecker, ihre Weinberge, ihre Oelbäume und  ihre Häuser zurück, dazu …“ (Nehemia 5,11)

Und ein Wunder geschah: Sie stimmten zu. Nehemia holte die Priester und lies dies noch beeidigen. Er wusste wohl, wie wankelmütig wir Menschen manchmal sein können. Zudem „
schüttelte ich den Bausch meines Gewandes aus und sprach: Also schüttle Gott jedermann von seinem hause und von seinem Besitztum ab, der solches versprochen hat und nicht ausführt; ja, so werde er ausgeschüttelt und leer! Und die ganze Gemeinde sprach:  Amen (= so sei es)! Und sie lobten den HERRN. Und das Volk tat also.“ (Nehemia 5,13b)

Das beeindruckt mich.

Zugleich lässt es mich auch ernüchtern: Wir leben noch nicht im Himmel. Widerstand und Anfechtungen sind normal. Luther sagte sogar, dass ein guter Theologe, nach Studium der Bibel und Gebet immer auch mit Anfechtung rechnen muss. Denn diese Anfechtung treibt ihn wieder ins Wort Gottes und damit zu Gott. Und dies wird aus ihm einen guten Theologen machen. Er wird im eigenen Leben erleben, wie Gott wirkt und ihm aus seinen Anfechtungen hilft. Wie er als ein Schwacher in Christus ein starkes Werkzeug Gottes sein kann. So kommt eine gute und orthodoxe Lehre mit Liebe und unendlicher Barmherzigkeit zusammen.

Ein bisschen sieht man dies auch an Nehemia und seinem Leben. Dabei handelt er ähnlich wie einst David vor Goliath: Goliath fühlte sich durch David, einen ungerüsteten Jungen provoziert. Da stand er Goliat, als einer der grössten und mächtigsten Kämpfer, der tagelang Gottes Volk beleidigte vor einem Jüngling, der mit nichts als seinem Gott und einer Steinschleuder gegen ihn antrat.

Ich weiss nicht, ob ich einen solchen Lebensmut und ein solches Gottvertrauen in meinem Alltag habe: Ich stehe fest begründet im Glauben an meinen lieben Gott. Was sollen mir die Pappkarton-Gefahren auch ausrichten. Sie können mir weh tun, sie können mich beleidigen, sie können mich bestehlen, sie können mich töten, aber meiner Seele können sie nichts antun. „Wer will gegen die Auserwählten Gottes Anklage erheben? Gott ist es doch, der rechtfertigt?“ (Römer 8,33) „Wer will uns scheiden von d er Liebe des Christus? Drangsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blösse oder Gefahr oder Schwert?“ (Römer 8,35)

Bei David ging der Kampf kurz. Er schlug der Anfechtung mit der Steinschleuder an die Stirn. Der bricht ohnmächtig zusammen. David nimmt das Schwert von Goliath und haut ihm damit den Kopf ab. Die Schlacht war entschieden. (David hatte natürlich noch andere Herausforderungen im Leben. Dazu gehörte auch, dass er den Tempel nicht erbauen durfte, weil soviel Blut an seinen Händen klebte: 1. Chronik 28,3: Aber Gottt sprach zu mir: Du sollst meinem Namen kein Haus bauen; denn du bist ein Kriegsmann und hast Blut vergossen!.)

Nehemia erlitt immer wieder Anfechtungen. Er hielt aber am Kurs mit seinem Gott fest und vertraute Gott mehr als Menschen. Und die Mauern Jerusalems wurden wieder errichtet und die Ungerechtigkeit im Volk Gottes wurde beseitigt.

Gott möge uns segnen. Lasst uns alles in ihm suchen, der in Christus uns alles ist.

Wenn wir uns gross und stark fühlen, so lasst uns vor ihm demütigen, weil er uns ohne Leistung liebt.

Und auch wenn wir uns schwach und ohnmächtig fühlen, lasst uns auf ihn trauen.

AMEN

2. Zum Buch Nehemia: Hintergründe
Es ist ein alttestamentliches Buch, dass auch zur Bibel, dem Tenach der Juden gehört. Es handelt in jener Zeit, wo Gottes Volk, die Juden, aus Israel verbannt worden waren und wenige wieder zurückkehren durften oder wenige Ueberiggebliebene in Jerusalem noch lebten. 

Laut der Genfer Studienbibel gehörten früher die Bücher Nehemia und Esra zu einem Buch. Origenes (185-253 nach Christus) war der erste, der sie in diese zwei Bücher aufteilte.
Genfer Studienbibel, Seite 779:
„In der hebräischen Bibel, im Talmut, bei Josephus (ca. 37-100 n. Chr.) und in den ältesten Schriften der LXX werden sie als ein einziges Schriftstück behandelt.“

„Die Bücher Esra und Nehemia sind eine historische Erzählung, die sich aus zahlreichen ,ursprünglichen einzelnen Schriftstücken zusammensetzt. Diese bilden ein literarisch wertvolles und aussagekräftiges Ganzes. Eine wesentliche Rolle spielen in diesen beiden Büchern Verzeichnisse….

.. In diesen beiden Büchern (Nehemia und Esra) ist auch viel offizielle Korrespondenz enthalten. Diese Briefe wurden nicht einmal übersetzt, sondern in der Sprache, in der sie ursprünglich verfasst wurden, abgeschrieben, in Aramäisch, der damals in diesen Ländern üblichen Sprache der internationalen Diplomatie. (Ansonsten ist das alte Testament ja üblicherweise in Hebräisch geschrieben.)“ (Beispiele dafür: Briefe Rehums an Artasasta, Briefe Tatnais an Darius, Memorandum über den Erlass des Kores usw.)

Laut Genfer Studienbibel glaubte man früher, dass ein Chronist die Bücher Esra und Nehemia verfasst habe. Heute gebe es einen Konsens unter den Auslegern, dass der Chronist  aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Bücher Esra und Nehemia verfasste. „Esra schrieb ein Tagebuch oder seine ‚Memoiren‘ …; ähnlich verhält es sich bei Nehemia….. 

… so wäre es möglich, dass Esra die Bücher Esra und Nehemia zusammengestellt hat, wie es ja in der jüdischen Tradition üblich war.“

Aus „Kurze Einführung in die Bibel“ von E. Aebi:
„Diese Bücher (Esra und Nehemia) sind von grosser historischer Bedeutung. Sie stellen das einzige geschichtliche Dokument dar, das wenigstens teilweise Aufschluss gibt über die Geschichte Palästinas während der Zeit, die zwischen der Zerstörung Jerusalems und den Makkabäerkriegen liegt.“ (Seite 58)

In diesem Buch gibt es auch eine Uebersicht der wichtigsten Ereignisse zur Zeit Esras und Nehemias.
„Die Bücher umfassen einen Zeitabschnitt von gut 100 Jahren beginnend mit der Heimkehr der ersten Gefangenen unter der Leitung von Serubabels im Jahr 538 (vor Christus*) (Esra Kapitel 1-2) und endend mit dem zweiten  Aufenthalt Nehemias in Jerusalem im Jahr 433 (Neh. 13,6-7). (Seite 58)
* mein Zusatz

3. Anhang

(1)    „Artasastas“: Artasastas ist Artaxerxes I, der Nachfolger von Ahasveros und König Perisiens 464 – 424 vor Christus.“ (Genfer Studienbibel Seite 786 zu Esra 4,7) (Ahasveros = Xerxes I.)

Freitag, 14. März 2014

1914 erster Weltkrieg

Ich lese gerade über das Jahr 1914 und bin entsetzt, wie intelligente Verantwortliche einen solchen unsinnigen Krieg anfangen und dann noch bis zu ihrem bitteren Ende durchziehen konnten: Auf Kosten von Millionen von Menschenleben und auf Kosten ihrer eigenen Kultur.


Wie selbst Verantwortliche, die keine Kriegstreiber waren, in einen Sog, in einen Strudel der sich überschlagenden Ereignisse gezogen werden. Wie aus Angst übervorteilt zu werden, selbst zur Waffe gegriffen wird, um das befürchtete Unheil in selbsterfüllender Prophezeiung heranzuziehen. Schrecklich!!!

Und dann die Feststellung, das wir heute dieser Zeit sehr ähnlich sind. War es damals das britische Empire, dass schwächelte, so schwächelt heute die USA. Hoffen wir, dass unsere Zeit besser weiss, mit den Herausforderungen umzugehen.

Zwar hat der Westen keine solche Kriegstreiber und niemand hat wohl Lust auf einen grossen Krieg. Das ist wohl der wesentlichste Unterschied zum ersten Weltkrieg. Aber gerade diese Haltung hat ja einen noch schlimmeren Krieg, den zweiten Weltkrieg ermöglicht... Und wie wird sich dann der Westen verhalten, wenn er an einen Punkt kommt, wo er glaubt, jetzt ist eine Grenze überschritten und ein Krieg unumgänglich? Nachdem jüdisch-christliche Werte in Europa heruntergefahren wurden, welche Werte werden uns dann daran hindern noch schlimmere Gräuel zu tun, als im ersten Weltkrieg? Damals war es schon schrecklich. Aber heute schauen sogar Kinder schlimme Filme an. Hoffen wir, dass sie dann diese Bilder nicht verwirklichen wollen. Als ich einmal als Soldat aus meinem WK zurückkam, meinte ein Kind: "Du kämpfst für das Gute und gegen die Bösen." Ich versuchte ihm zu erklären, dass in einem Krieg immer zwei egoistische Positionen verteidigt werden. Der Feind ist nicht einfach der "Böse". Selbst wenn die Schweiz angegriffen würde und ich gegen diese Eindringlinge mit allem Recht kämpfen würde, sind es doch auch Menschen. Wenn ich mein Land verteidige, so ist dies mein gutes Recht. Vielleicht habe ich die Chance ein Held zu werden, was ich aber bei meiner Aengstlichkeit weniger für realistisch halte. Aber um wirklich etwas heiliges zu machen, müsste ich als Heiliger handeln. Und der würde anders reagieren. Der würde ohne Waffen für seine Ueberzeugung eintreten. Auch er wäre bereit zu sterben. Aber dieser überzeugt mit seiner Feindesliebe und zeigt in seiner Gewaltlosigkeit seine unegoistischen Motive (soweit ein Mensch dies überhaupt kann, bevor wir verherrlicht werden). Als Soldat, als Krieger habe ich eine andere Berufung. Wie ein Polizist benütze ich auch Gewalt. Sollte ich in diesem Zusammenhang Menschen töten - was mir zum Glück bis heute erspart blieb - so würde Blut an meinen Händen kleben. David, der grosse König Israel, der mit eben dieser Kriegsgewalt sein Volk befreite - und damit seine Berufung lebte - durfte eben wegen diesem Blut, dass an seinen Händen kläpte den Tempel in Jersualem nicht bauen. Niklaus von den Flüe, ein Richter und angesehner Bürger eines Kantons in der Innerschweiz, welche schon im Mittelalter direktdemokratisch geführt wurde, war im Krieg auch Hauptmann. Er selber betete sogar im Kriegslager auch für die Feinde.Später zog er sich als Einsiedler zurück und verbrachte sein restliches Leben im Gebet und als Ratgeber für viele Menschen, die ihn besuchten. Da legte er jede Gewalt ab. In dieser Unmöglichkeit konnte er einen Bürgerkrieg innerhalb der Schweiz verhindern. Seine Ratschläge waren so weise, dass sie bis heute die schweizerische Neutralitätspolitik erklären. Zwinlgli, der Reformator von Zürich äusserte sich ähnlich. Und ich könnte mir vorstellen, dass General Dufour ähnliche Gedanken bewegten. Leider musste General Dufour im 19. Jahrhundert den letzten Krieg in der Schweiz ausfechten. Als General der eidgenössischen Truppen besiegte er die Truppen des Sonderbundes, der Rebellen. Dabei ging er sehr wiese vor. Den Kanton Freiburg konnte er ohne Blutvergiessen besetzen. Die folgenden Kämpfe konnte er auf ein Minimum der Verluste reduzieren, u.a. indem er nicht die gefährlichste Munition für die Artellerie einsätze. Wann immer möglich versuchte er zu verbindne. Einer seiner Offiziere, im Vorfeld ein extremer "Zentralist", verlor seine harte Linie und übernahm  diese Haltung.Als dann die Rebellion besiegt war, behandelte man die Besiegten nicht wie Besiegte, sondern man fand eine gut eidgenössische Lösung. Aus all diesen Konflikten erlärt sich, dass in der Schweiz die Konszensfindung ein wichtiger Wert ist. Ich hörte am Radio einmal einen deutschen Chef einer grossen Schweizer Unternehmung (zwischen 40 bis beinahe 50% der Chefs von grossen Unternehmen sind in der Schweiz Ausländer) sagen, wie erstaunt er war, dass in der Schweiz der Konsenz ein eigener Wert ist. Aber wie sollte man auch sonst in der Vielfalt zusammen leben können. Dazu gehören ja auch die vielen Volksabstimmungen. Leider wird dies im Ausland, oft nicht verstanden. Besonders, wenn wie bei der Masseneinwanderungsinitiative ein Resultat erscheint, wie sich die EU das nicht wünschte. Dass dann diese EU gegenüber der Schweiz Sanktionen ergreifft, entspricht dann in keiner Weise dieser Mentalität der Konsensfindung. Die ganze Sache wird für den durchschnittlichen Schweizer noch verwirrender, wenn man bedenkt, dass kein einziges Gesetz von der Schweiz gebrochen wurde. Ja, dass neben den offiziellen Zahlungen auch Eisenbahnenen usw. in der EU mitfinanziert werden. Man hatte nur abgestimmt, dass Verträge neue ausgehandelt werden. Dass man eben einen Kompromiss findet, dass anstelle von järhlich 1% Einwanderer der Schweizer Bevölkerung, eine Verringerung erzielt werden könnte. Aber selbst in der Schweiz gibt es Menschen, die diese Forderung noch nicht  verstanden haben. Es ging nicht darum, dass die Ausländer aus der Schweiz gingen, sondern dass der sehr hohe Ausländeranteil nicht so schnell zunimmt. Deutschland hat ca. 8% und Frankreich 9% Ausländer, in der Schweiz sind es einiges mehr: 23,3% Ende 2012 laut
 http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/07/blank/key/01/01.html.

Auf der anderen Seite kenne ich auch Menschen, die unter diesem Volksentscheid jetzt schon leiden. Sie werden weiterhin eine Aufenthaltsbewilligung L erhalten, anstelle ein B. Das tut mir für diese Menschen leid und ich würde es  gerne anders für sie wünschen. Ich hoffe auch, dass es eine gute Lösung für sie geben wird.

Nur schon an diesem verhältnismässig kleinen Problem sieht man, dass unterschiedliche Meinungen nicht so einfach  behandelt werden können.(Ich glaube, dass ich beide Positionen verstehe und ihre Argumente nachvollziehen kann.)

Auf jedenfall ist bei Meinungsverschiedenheiten der Krieg nicht die optimale Reaktion. Verachtung, sicherlich auch nicht. Vielmehr sollte man Verständnis finden, d.h. dem Gegner zuhören. Dann besteht die Möglichkeit, dass man einen Kompromiss findet, mit dem alle gleichmässig unzufrieden sind. Oft ist dies nicht der schlechteste Weg. Es gibt natürlich auch Dinge, die nicht verhandelbar sind. Und es gibt auch eine Situation, wo ein Krieg nicht mehr umgangen werden kann. Dabei sollte man sich, wie einst General Dufour aber klar darüber sein, dass der Feind nicht das Böse ist! Auf jedenfall gibt es vielmehr Dinge, die nicht so wesentlich sind, dass man mit einem Kompromiss nicht auch gut leben könnte. Die Schweiz ist ein Beispiel dafür. Dazu gehört, dass die Konflitkparteien auf gleicher Augenhöhe verhandeln müssen können. Sobald eine Seite Druck auf die andere Seite macht, was im Verhältnis der mächtigen EU gegenüber der kleinen Schweiz der  Fall ist - oder in der Ukraine durch Russland, wird es schwierig. Die beste Lösung wäre es, den Druck abzubauen und sich dann am Verhandlungstisch wiederzufinden. Aber wer mehr Macht hat, glaubt natürlich durch seinen Druck die Dinge in seinem Sinne zu beeinflussen. Doch auf längere Frist gewinnt hier niemand. Denn selbst wenn der Starke seine Machtpläne durchsetzt, wird er durch die durchgedrückte Lösung keine gemeinsam getragene Lösung vorfinden. Vielmehr werden die Probleme unterdrückt und motten weiterhin im Untergrund. Viel Kraft muss nun aufgewendet werden, dass dieses Motten nicht aufbricht. Zudem werden dann die eigentlichen Probleme gar nicht angegangen. Wer zum Beispiel einfach sagt, die Personenfreizügigkeit sei für die EU ein Wert, über das nicht verhandelt werden kann. Der wird sich wohl auch nicht mit dem Problem auseinandersetzten, dass die EU in ihren armen Ländern ein Verlust der gut ausgebildeten Fachkräfte hat. Müsste man nicht eine Politik betreiben, dass diese guten Fachkräfte die Möglichkeit haben, ihre Länder aufzubauen? Die Schweiz auf der anderen Seite wurde schon von der Weltgesundheitsorganistaion kritisiert, dass sie weltweit Gesundheitspersonal abzieht und so gerade ärmere Länder schwächt. Die Schweiz bildet, glaube ich nur 700 Aerzte jährlich aus. Viel zuwenig. Viele, Schweizer die Medizin sturdieren wollen, können es nicht, weil es ein extremer Auslehseverfahren gibt. Müssten man nicht hier gute Lösungen finden? Warum ist die Arbeitslosigkeit in der EU so gross? Warum wird dies nicht angegangen? Warum schafft man in der EU nicht einen grösseren Raum, wo die Menschen in ihrere Heimat ihre Träume verwirklichen können? Geld scheint ja im Ueberfluss vorhanden zu sein... Und warum baut die Schweiz ihre Infrastrktur nicht schneller aus, bei dieser grossen Zuwanderung (mit oder ohne Masseneinwanderungsinitiative). Strassen, Bahn usw.?

Auf jedenfall bewirkt eine erzwungene Lösung, die nicht nachvollzogen werden kann, keine motivierende Athmosphäre. Im Gegentiel sie absorbiert viel positive und chreative Energie. Würde anstelle die Macht des Stärkeren durchgesetzt, sondern eine gemeinsame Lösung gesucht, könnten sich alle positiv an der Entwicklung beteiligen. Das bringt dann vielleicht andere Lösungsansätze als man erwartet hat. Der Rahmen für dieses Ringen nach einer Lösung muss eine Gerechtigkeit sein, die für alle gilt. Eine Rechtssicherheit auf die man sich verlassen kann. Alles andere gibt nur dem Faustrecht vorschub. Aber es wird noch schwieriger: Denn wer Gottes Wort kennt, weiss, wie schwer es ist, der Gerechtigkeit nachzujagen. Wie schnell kann man von unrecht zu Gesetzlichkeit und Hartherzigkeit gelangen.Aber das ist noch ein anderes Thema.

Die Gerechtigkeit ist in diesem Zusammenhang nicht unwesentlich. Jesja schrieb dazu:
"Darum bleibt das Recht fern von uns, und die Gerechtigkeit erreicht uns nicht. wir warten auf das Licht, und siehe da, Finsternis, auf den hellen Tag, aber wir wandlen in der Dunkelheit!
Wir tappen an der Wand wie die blinden; wir tappen, wie wenn wir keine Augen hätte, wir straucheln am hellen Tag wie in der Dämmerung, unter Gesunden sind wir wie die Toten.
Wir brummen alle wie die Bären und gurren wie die Tauben, wir warten au das Recht, aber es ist nirgends, und auf Rettung, aber sie bleibt fern von uns." (Jesaja 59,9-11) Danach erklärt Jesaja, warum das Recht nicht kommt: "... unsere Uebertretungen sind zahlreich vor dir..." Es ist eine Kritik an Gottes Volk, wie treulos es gegen Gott handelt. Das kann man natürlich Heiden nicht vorwerfen. Aber auch Heiden sollten sich an eine Gerechtigkeit halten, die ihre Gesellschaft erhöht. Vor langer Zeit wurde daher in der Schweiz der eidgenössische Buss- und Bet-Tag eingeführt...

Es gibt für den Beginn des ersten Weltkrieges viele: "Wenn nicht, dann wäre er nicht ausgebrochen." Und genau das, macht das ganze so verrückt. Schon im 17. Jahrhundert empfahl Mister Willhiam Penn, ein vereinigtes Europa zu gestalten, wo die überregionalen Probleme nicht auf dem Schlachtfeld, sondern auf dem Verhandlungstisch ausgetragen werden. (1) Er empfahl auch das damalige osmanische Reich in diese Organisation aufzunehmen.  Meiner Meinung nach ist die EU für diese Aufgabe viel zu eng gefasst. In einem "Sicherheitsystem" à la Penn könnte man die Türkei und Russland einbinden. Hoffen wir, dass es dafür nicht schon zu spät ist und eine einmalige historische Gelegenheit verpasst worden ist.


Was hat dies mit Theologie zu tun? Wir können dafür beten, dass wir es heute besser angehen, als vor 100 Jahren.

Anhang
(1) William Penn, Sohn des gleichnamigen englischen Admirals. 14.10.1644 - 30.7.1718. Er war Quäker. Laut Wickipedia verweist Penn in seinen Ueberlegungen auch auf den französischen König Heinrich IV (13.12.1553 - 14.5.1616 ermordet). (Heinrich war der erste borbonische König auf Frankreichs Thron. Für die Königskrone musste er sein Hugenottentum (Reformierter) ablegen und Katholisch werden. Er war massgeblich am Wiedererstrarken Frankreichs beteiligt und erliss das Edikt von Nantes, dass den französischen (calvinistischen) Protestanten ewige Religionsfreiheit zusichert. Laut Wickipedia verhinderte das Edikt aber auch die Ausbreitung des Calvinismus in Frankreich. Ludwig der XIV wiederrief dieses Edikt...)
Laut dem "Der Sohn des Admirlas" von Kurt Rose führte die Ueberlegungen von Penn über die vereinigten Kolonien in der heutigen USA, zu eben dieser Vereinigung.

Hier ein Zitat von Penn aus "Ohne Kreuz keine Krone" aus Wicikpedia:

„Aus diesem kurzen Abrisse von dem, was das Christenthum ehemals war, kannst du, o Christenheit! nun
sehen, was du nicht bist, und was du folglich seyn solltest. Wie gehet es aber zu, daß wir statt eines so sanften, barmherzigen, sich selbst verleugnenden, duldenden, mäßigen, heiligen, gerechten und guten Christenthums, das Christo, dessen Namen es führet, so ähnlich war; jetzt ein abergläubisches, abgöttisches, verfolgendes, stolzes, leidenschaftliches, neidisches, boshaftes, selbstsüchtiges, trunkenes, wollüstiges, unreines, lügenhaftes, fluchendes, habsüchtiges, bedrückendes, betrügerisches Christenthum vorfinden? ein Christenthum, das aller Abscheulichkeiten, die man nur auf der Erde kennt, voll ist, und diese noch dazu in einem so hohen Uebermaße ausübt, daß es den schlimmsten der heidnischen Zeitalter zur Schande gereichen würde; indem es jene früheren Jahrhunderte noch mehr im Bösen selbst, als in der Zeitdauer desselben übertriftt. Ich frage, woher kommt dieser beklagenswerthe Verfall?“

Mittwoch, 12. März 2014

Wahrheit



Wahrheit

12.3.14 Wir haben schon Frühling!!!
Ich habe eine interessante Aussage in einer Predigt gehört. Die Pfarrerin war der Meinung, dass es keine Wahrheit gebe. Es gäbe nur kleine persönliche Wahrheiten. Sie selber sei gegen Wahrheiten, die ausgrenzen.

Für mich war dies eine ganz neue Sicht der Wahrheit: Kann Wahrheit ausgrenzen? Bis jetzt habe ich Wahrheit und die Aneignung von Wissen als etwas beglückendes und befreiendes erlebt. Jesus denkt, wenn er von Wahrheit spricht, wohl ähnlich wie ich es empfinde, wenn er sagt: „Die Wahrheit wird Euch frei machen!“.

Wenn jemand aber die Wahrheit als einengend erlebt und sich dadurch dagegen wehrt und sie ablehnt, dann postuliert er zur gleichen Zeit, dass es für ihn wahr ist, dass es keine einengende und ausgrenzende Wahrheit geben darf. Vermutlich ist jener Pfarrerin nicht aufgefallen, dass sie mit dieser Aussage gerade das tut, was sie verhindern möchte: Sie grenzt andere aus, die ein anderes Wahrheitsverständnis als sie haben.

Gerade durch ihr Verständnis von einer Wahrheit, die ausgrenzt und ihr entschiedenes eintreten für eine relativierte Sicht von Wahrheit, definiert sie eine für sie wahre Wahrheit, die sehr absolut ist: Zudem ist es eine absolute Wahrheit, die alle anderen ausgrenzt: Denn es darf keine Wahrheit geben, die ausgrenzt.

Im ersten Moment scheint es eine gute Lösung zu sein, um dem lieben Frieden willen, die Wahrheit zu relativieren. Denn damit scheint in einer pluralistischen Gesellschaft das friedlich zusammenleben garantiert zu werden. Wenn wir aber den Kitt für unsere Gesellschaft auf die Relativierung der Wahrheit begründen, dann wird diese Ueberzeugung zu einer Ideologie überhöht, die uns in ihre Doktrin gefangen nimmt. Jeder, der eine andere Doktrin, ein anderes Wahrheitsverständnis mit vollem ernst vertritt, wird so zum Friedensfeind, ja zum Feind der Einheit der Gesellschaft.

Dieser Doktrin müsste man dann logischerweise auch die Glaubens- und Meinungsfreiheit opfern.

Gibt es nicht auch eine andere Lösung? Eine, wo man immer noch frei denken darf? Oder noch extremer gefragt: Gibt es Freiheit und Ordnung? Freiheit und friedliches Miteinander?
Diese Frage bekommt noch mehr Relevanz, wenn man bedenkt, dass die Welt – und sogar unsere kleine Schweiz immer pluralistischer wird. Wohin wird sich alles bewegen? Vermutlich bewegte dies auch diese Pfarrerin.
Jetzt schon Schlüsselblümchen: 13.2.14

Mir scheint es, dass durch diese Entwicklung die Gräben zwischen den Parteien in der Schweiz tiefer geworden sind, als sie auch schon waren. Besonders merkt man dies an den zwei Rändern, die wir mit SP und SVP kennen. In den USA sieht man dies zwischen Demokraten und Republikanern.

Thimoty Keller, ein presbyterianischer Pfarrer (also ein reformierter Pfarrer) beschreibt dies ebenfalls in seinem Buch: „Warum Gott? Vernünftiger Glaube oder Irrlicht der Menschheit?.“ Er empfiehlt den „Sprung in den Glauben“ in seiner eigenen Ueberzeugung zu entdecken, den selbst Skeptiker haben. (1) Und dann wirbt er darum, andere Meinungen, Konfessionen und Ideologien genau zuzuhören. Das erste gibt genügend Demut und das zweite schafft Verständnis.  Auf dieser Basis kann man dann mit Respekt, den anderen kritisieren und hinterfragen. Wörtlich schreibt er Seite 22:

"Das geht dann, wenn jede der Parteien gelernt hat, die Position der anderen in ihrer stärksten und positivsten Form darzustellen. Erst dann verfügt sie über die nötige Gelassenheit und Fairness, sie zu kritisieren. So entsteht eine Atmosphäre der Höflichkeit in einer pluralistischen Gesellschaft, was kein kleiner Erfolg ist."

Ich denke auf diese Weise wird es möglich mit Anstand und Würde die Glaubens- und Meinungsfreiheit in eine pluralistische Gesellschaft zu retten. Sollte uns dies nicht gelingen, sehe ich auch unsere Demokratie gefährdet. Die Republik im alten Rom ging unter, weil sich die verschiedenen Parteien bis zu Mord bekämpften. Noch ist es bei uns nicht soweit. Aber wir sollten hellhörig werden, wenn jemand mit einer anderer Meinung nicht mit Gegen-Argumenten, sondern mit Angriff auf die Person reagiert.

Ich persönlich finde es schon problematisch, wenn nach einer Abstimmungen über konkrete Vorlagen (In der Schweiz darf der Bürger und die Bürgerin – oft mehrmals pro Jahr – über konkrete Verfassungs- und Gesetzesänderungen abstimmen) von Verlieren und Sieger gesprochen wird und wenn man einen Politiker als Sieger seiner Initiative erklärt. Es muss doch immer darum gehen, dass man gemeinsam einen Weg sucht. Und die Abstimmung ist der letzte Schritt der Meinungsfindung des Volkes, den dann die Gesetzgeber ausführen müssen. Es ist für die Qualität einer Demokratie wichtig, dass man die Meinung der anderen mit Argumenten und Respekt angeht. Zudem sind auch Minderheiten durch die Mehrheit zu schützen (wofür wir ja in der Schweiz eine alte Tradition haben).

Vielleicht fragen Sie sich, ob es auch einfacher geht. Dazu könnte folgendes passen:
Letzthin las ich einen guten Beitrag in der NZZ. Da meinte jemand, dass ein schlechter Witz eine wichtiges Ventil sei. Der Witz ist sicherlich auch Ausdruck einer anderer Meinung, die sich durch die Form des Witzes Luft macht. Er meinte, ein schlechter Witz ist immer noch besser, als wenn er sich Luft verschaffen würde, indem er den anderen zusammen schlagen würde. In diesem Sinne ist der schlechte Witz eine zivilisatorische Leistung. Die Gesellschaft könne sich dann noch weiter entwickeln, indem sein Gegenüber den schlechten Witz mit einem besseren Witz kontere.

Das ist jetzt sicherlich eine vereinfachte Problemlösung und kommt dem erst genannten nicht ganz nach. Aber mich dünkt, es ist eine wichtige und praxisnahe erste Variante mit Entwicklungspotenzial. Selbst weniger Einfühlsame und Verständnisvolle werden damit umgehen können. Es scheint sogar eine Veranlagung für Witze zu geben, die besonders in streng reglementierten Meinungs-Kulturen zu unerkannte Blüte reicht.

Was Thimothy Keller vorschlug (s.o.) ist die schwerere Schule. Meine Frau und ich haben gerade dieses Wochenende solches Zuhören (versucht) zu lernen. U.a. mussten man die Aussage eines anderen Wort für Wort wiederholen, bevor man die eigene Meinung sagen durfte. Der „Witz“ daran war, dass man sich bewusst ein Gesprächs-Thema aussuchte, indem man gegensätzlicher Meinung war. Man musste also die Wahrheit des anderen rezitieren.
Nach dieser Uebung, die nicht einfach wahr, meinte jemand, er habe bei seinem Gegenargument das Argument seines „Gegners“ verwendet und dies zuerst nicht einmal gemerkt. Er hörte also, trotz rezitieren der anderer Meinung, nicht wirklich zu, sondern er suchte sich schon seine Gegenargumente, während er zuhörte und rezitierte. Da er zufälligerweise sogar die gleichen Argumente wie von seinem „Gegner“ verwendet hatte, ist bemerkenswert. Sie merkten dann doch noch, dass sie die gleiche Wahrheit erkannt haben, aber sie anders interpretiert haben.

In Basel wird heute die Fasnacht vorbei gehen. Damit wird in der Schweiz, mit wenigen
Marktplatz Basel: 1 h vor dem Cortege
Ausnahmen die Fasnachtszeit vorbei sein. Diese Fasnacht ist unter anderem ebenfalls in diesem Sinne eine Art Witz, ein grosser Witz. Man sagt, dass Kinder und Narren die Wahrheit sagen. Und in der Fasnacht sind alle Narren. (Auf jenen Teil der Fasnacht, der weniger toll ist, gehe ich jetzt nicht ein. Davon weiss ich zu wenig. Auf jedenfall kenne ich einige, die diese Zeit aktiv verbringen – und sie scheinen, diese kameradschaftlich und positiv auszuleben.)
Aber zurück zum Anteil des grossen Witzes in der Fasnacht. Gerade in Basel werden dabei sehr viele Sprüche geklopft. Gewisse Sprüche sind geradezu ein Kunstwerk, natürlich in Basel-Deutsch. Der Kreativität sind gross Freiräume gesetzt. Es darf viel gesagt werden. Gestern zum Beispiel sah ich an der Kinderfastnacht einen kleinen Wagen mit Obama. Darauf stand „verzähl es Gschichtly.“ Also Obama soll eine Geschichte für Kinder erzählen und dann nochmal eine. Oder heute sah ich einen Wagen auf dem die Angst des Verlustes des Mittelstandes thematisiert wurde. 
"Quo Vadis mit dem Mittelstand" steht auf diesem Wagen

Auch dies scheint mir eine Form der freien Meinungsäusserung. Es ist eine sehr alte, die bereits im Mittelalter herrschte. Damals durfte ja sogar der Narr vor dem König die Wahrheit sagen, auch wenn die Wahrheit den König ausgrenzte. – Aber vielleicht machte die Wahrheit den König auch frei zu denken?

12.3.14

Links: Eine Stunde vor dem Cortege am 12..3.14

Anhang
(1) Im ersten Moment klingt hier Keller ähnlich wie diese Pfarrerin. Und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied: Letztere relativiert die Wahrheit, während Keller auf unsere menschliche Begrenzung hinweist, Wahrheit entdecken zu können. Dieser Wahrheitsbegriff entspricht meinem bissherigen Denken, denn sie schafft eine grosse Freiheit  über Wahrheit zu denken und zu sprechen und leugnet gleichzeitig nicht die Existenz von Wahrheit!

Dienstag, 4. März 2014

Sei nicht allzu gerecht



Uebersicht:
1. Bibeltext Prediger 7,20-22
2. Erste Gedanken dazu 
3. Wie ich es verstanden habe
4. Zwingli und Paulus zum Thema Gerechtigkeit
5. Anhang
    unter (3) Gedanken von Calvin, die ich dann mit Paulus vergleiche
    abschliessen ein Verweis auf eine interessante (und emotionale) 
    Predigt von John Piper in der Liberty Universität auf Youtoub

1. Bibeltext
Sei nicht allzu gerecht und erzeige dich nicht übermässig weise!
Warum willst du dich selbst verderben?
Werde aber auch nicht allzu verwegen und sei kein Narr!
Warum willst du vor der Zeit sterben?
Es ist am besten, du hältst das eine fest und lässest auch das andere nicht aus der Hand;
Denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allem. –
Die Weisheit macht den Weisen stärker als zehn Gewaltige, die in der Stadt sind.
Weil kein Mensch auf Erden so gerecht ist,
dass er Gutes tut, ohne zu sündigen,
so höre auch nicht auf alle Worte,
die man dir hinterbringt,
und nimm sie nicht zu Herzen,
damit du nicht deinen eigenen Knecht dir  fluchen hörest!
Denn wie oftmals – das weiss dein Herz – hast auch du andern geflucht!
(Prediger 7,20-22)

2. Erste Gedanken dazu
Was für ein Wort des Herrn!

Leider kann sich Stolz als Gerechtigkeit tarnen (7,16 f.).

„Die jüdische Tradition geht sogar so weit, den Rat Kohelets auf jede Art extremer Frömmigkeit zu beziehen wie ganztägiges Beten, andauerndes Fasten und klösterliche Absonderung von der Welt. Dies führt fast zwangsläufig dazu, dass sich die andern von einem solchen ‚Weisen‘ zurückziehen und er alleingelassen, ‚verwüstet‘ dasteht. ‚Man kann an seiner eigenwillig übersteigerten ‚Gerechtigkeit‘ scheitern.(1)‘“

Es scheintt beinahe verwegen, wenn hier empfohlen wird, man solle „ nicht allzu gerecht“ sein“ und erzeige dich nicht übermässig weise!“ Man könnte meinen, dies entspreche unserer postmodernen Welt, wo gerne alles relativiert wird. Wir lassen gerne die Spannung zwischen Gut und Böse unaufgelöst. Und man erfreut sich an moralischer Zweideutigkeit. In dieser darf man dann getrost seine Sünden ausleben.  Ist das hier aber gemeint?

Eine solche Auslegung würde wohl gegen andere Bibelstellen und auch die Verse um diese Bibelstelle stehen.

Auf jedenfall sollen diese Verse unser Denken herausfordern und zum nachdenken anregen: Wie ist dies gemeint? Hier liegt sicherlich ein Grund, warum die jüdische Kultur so intelligent ist. Sie sind sich gewohnt zu denken. Etwas, was wir uns auch angewöhnen dürfen. Zudem dürfen wir Gott bitten, dass er uns zeigt, was hier gemeint ist. Und dann wird auch dieser Bibeltext zu einem Reden Gottes zu uns. (Wer diese Zeilen liest, gehört sicher zu jenen Menschen, die denken, sonst würde er sich diese Mühe nicht machen…)

3. Wie ich es verstanden habe
Ich versuche wiederzugeben, wie ich dieses Reden verstanden habe.
„Weil kein Mensch auf Erden so gerecht ist, dass er gutes tut, ohne zu sündigen.“ Vers 20 ist eine niederschmetternde Feststellung unserer menschlichen Möglichkeiten: Wir können nicht einmal bei unseren guten Taten nicht sündigen. Immer schwingt etwas unvollkommenes, etwas egoistisches und/oder selbstgerechtes darin mit. In den nächsten Versen wird diese Feststellung ganz einfach angewandt: Wir sollen nicht so genau hinhören, was alles über uns geredet wird, sonst hören wir noch, dass über uns geflucht wird. Und dann wird noch nachgedoppelt, dass wir das ja auch schon gemacht haben. Unser Herz, also unser Innerstes, wisse es.

Peng! Das ist hart.

Wer weniger postmodern denkt und wer wirklich gut handeln will, versteht sicherlich, wie diese Aussage niederschmettert. Es entblösst etwas von unserem Herzen, also von unserem innersten Wesen. Hören wir, wie viel später Paulus – als wiedergeborener Christ – das gleiche feststellt:

„Denn ich habe Lust an dem Gesetz Gottes nach dem inwendigen Menschen;
Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meiner Gesinnung widerstreitet und mich gefangen nimmt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.
Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Todesleib?

 Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! So diene nun ich selbst mit der Gesinnung dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde. (Römer 7,22-25)

Paulus sieht den Ausweg aus diesem Hang in ihm Böses tun zu wollen, indem er zu Christus flieht. Damit nicht mehr sein Menschenmögliches (= Fleisch), sondern Gottes Möglichkeit geschehen darf: Dazu gehört vor allem anderen: Das er Vergebung erlebt. Gottes Gnade und Vergebung löst unsere Unvollkommenheit. Der Prediger kannte Jesus Christus in seiner vollen Grösse, wie wir es im Neuen Testament entdecken können, noch nicht, beginnt aber mit einer ähnlichen Feststellung der Problematik: Weil kein Mensch auf Erden so gerecht ist, dass er Gutes tut, ohne zu sündigen.“ (Prediger 7,20). Daher ist es auch logisch, dass jemand, der mit eigener Kraft (fleischlich) versucht gerecht zu leben, nie Gottes Massstäbe erfüllen kann. 

Darum sind Menschen, die „allzu gerecht“ sein wollen (Prediger 7,16), in der Gefahr, sich selbstgerecht über ihre Sündhaftigkeit zu erheben. Oder mit anderen Worten gesagt, wer glaubt, er könne aus eigener Kraft gerecht leben, muss sich selber betrügen und seine sündhafte Motivation für gute Werke verleugnen. Dies wird zu einem überheblichen, selbstgerechten Menschen führen, der kein Verständnis für die Schwächen und Sündhaftigkeit anderer hat, weil er sich einbildet, er habe sie aus eigener Kraft überwunden. Darum: „erzeige dich nicht übermässig weise! Warum willst du dich selbst verderben?“ (Prediger 7,16)

Natürlich geht es hier auch, um ein vernünftiges Leben. Ein Massvolles Mass. Vers 16 und 17 spricht davon, dass dies für unser Leben gut tun wird. Und wenn wir dieses Mass nicht einhalten, gilt: „Warum willst du vor der Zeit sterben?“
Hier geht es auch darum, damit zu rechnen, dass wir auch in unseren besten Taten, Vergebung brauchen. (Hier liegt auch die grosse Gefahr, wenn man die Welt verbessern will: Ohne diese Einsicht werden die Verbesserer – unbewusst – ihre Sündhaftigkeit in ihre Neuerungen einbauen. Aber selbst, wenn wir davon wissen, werden wir es tun. Johannes Calvin war sich dessen bewusst, und hat daher auf seinem Sterbebett um Verzeihung gebeten. Er habe es gut gemeint. Aber es war nicht alles gut, was er tat (3).)

4. Zwingli und Paulus zum Thema Gerechtigkeit
Zwingli, der Reformator von Zürich, hat noch viel später als Paulus ebenfalls dieses Thema der Gerechtigkeit aufgenommen: Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit“ 1949, zum Anlass des 60. Geburtstags des christlichen Denkers Emil Brunner wurde ein Heft herausgegeben, wo über dieses Gedanken von Zwingli nachgedacht wurde (2). Am Schluss wird festgehalten:
„Auf diesen Begriff der Gerechtigkeit lässt sich auch der Nichtgläubige ansprechen, denn die Bedeutung solcher Gerechtigkeit ist für jedes, über das eigene Ich hinausgehende Denken evident. Nachdem die Kirche in den Jahrhunderten, wo jede Obrigkeit und jeder Bürger auf seine Christlichkeit angesprochen werden konnte, den Kampf für diese Gerechtigkeit meist nur lau geführt, oder aus einem falschen Verständnis des Gesetzes auch für den Christen abgelehnt hat, darf die christliche Gemeinde heute auch da, wo sie eine kleine Minderheit in einer entchristlichten Welt ist, aber in einer freiheitlichen Demokratie dennoch Wirkungsmöglichkeiten hat, nicht zurückstehen im Kampf für diese menschliche Gerechtigkeit. Diese ist eine Forderung der Nächstenliebe, der Wille für sie zu wirken keine Anmassung von dem, was allein Gottes ist.

Der Christ, der dieser Aufgabe nachzukommen strebt, kann sich nicht einbilden, die göttliche Gerechtigkeit zu erfüllen; er ist in der Lage des Knechtes, der gerade seine Schuldigkeit getan hat (Luk 17,10).

Die Gerechtigkeit als Begriffssystem menschlicher Rechtsordnung wäre für sich allein nicht mehr als eine wenn auch noch so wichtige und wertvolle menschliche Ideologie. Sie kann nur gefunden und insbesondere nur sinnvoll angewendet werden, wenn etwas anderes, ganz anderes dazutritt: die Liebe, der Wille zur Gemeinschaft beim einzelnen Menschen. Die Liebe kommt aus der Begegnung des Menschen mit Gott in Christus. Darum ist sie Gnade und darum wurzelt auch die Gerechtigkeit, in diesem alten und wieder neuen Sinne, letzten Endes in dem, was Zwingli als göttliche Gerechtigkeit verstanden hat. Diese göttliche Gerechtigkeit bringt dem Menschen die Unvollkommenheit und blosse Vorläufigkeit jeglicher, auch der höchsten menschlichen Gerechtigkeit, und jedes Versuches zu ihrer Verwirklichung im täglichen Leben, zum Bewusstsein. Sie schafft die heilige Unruhe.“

Und diese Unruhe über uns, soll uns in den liebenden Schoss von Jesus treiben. Dort können wir unseren Kopf hinlegen und alles sagen – auch unsere Tränen über uns haben dort einen guten Platz. Dann streicht uns Christus über die Haare und sagt uns: „Es ist alles gut. Bei mir ist alles gut. Hab keine Angst. Ich habe alles für Dich in Ordnung gebracht. Meine Gerechtigkeit umhüllt Dich wie ein Mantel, wie ein weisses Kleid ohne Fehler. Ich liebe Dich, wie ich Gott den Vater liebe und Gott der Vater liebt Dich, wie er mich liebt.“

Paulus als Choleriker sagt es nüchterner:

„So gibt es nun  keine Verdammnis mehr für die, welche in Christus Jesus sind, die nicht nach dem Fleisch (= nach den menschlichen Möglichkeiten) wandeln, sondern nach dem Geist.
Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Denn was dem Gesetz unmöglich war – weil es durch das Fleisch (= menschliche Möglichkeiten) kraftlos war -, das tat Gott, indem er seinen Sohn sandte in der Aehnlichkeit des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und die Sünde im Fleisch verdammte, damit die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit in uns erfüllt würde, die wir nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist (= Möglichkeiten Gottes).“ (Römer 8,1-4)

5. Anhang
(1)    Zitat aus Wuppertaler Studienbibel, Seite 116. Hier wird aus Brandenburg (1971), 165 zitiert.
(2)    Erstaunlich, dass bereits 1949 von einer entchristlichten Welt gesprochen wurde. Dieser Text findet sich ab Seite 59 der „ZWINGLIANA, Beiträge zur Geschichte Zwinglis / der Reformation und des Protestantismus in der Schweiz“, herausgegeben vom Zwingliverein, 1949 / Nr. 2, Band IX / Heft 2 (im Internet unter www.zwingliana.ch)
(3)    Aus Johannes Calvins Abschiedsrede vom 28. Februar 1564:
„Ich habe viele Schwächen gehabt, die Ihr ertragen musstet, und selbst all das, was ich getan habe, ist im Grunde nichts wert. Die schlechten Menschen werden diesen Ausspruch bestimmt ausschlachten. Aber ich wiederhole noch einmal, dass all mein Tun nichts wert ist und ich eine elende Kreatur bin. Ich kann allerdings wohl von mir sagen, dass ich das Gute gewollt habe, dass mir meine Fehler immer missfallen haben und Gottesfurcht in meinem Herzen Wurzeln geschlagen hat. Ihr könnt es bestätigen, dass mein Bestreben gut gewesen ist. Darum bitte ich euch, dass Ihr mir das Schlechte verzeiht. Wenn es aber auch etwas Gutes gegeben hat, so richtet Euch danach und befolgt es!“
Aus Calvins letzte Worte (kopiert aus einer Predigt vom 19.7.09 in der Walpurgiskirche in Alsfeld,  s. www.reformiert-info.de):
„Ich habe mich darum bemüht, das mir von Gott anvertraute Wort in ganzer Reinheit zu verkündigen. Dabei habe ich viele Schwächen gehabt, die Ihr ertragen musstet. Und selbst all das, was ich getan habe, ist im Grunde nichts wert. Darum bitte ich Euch, dass Ihr mir das Schlechte verzeiht. Wenn es aber auch etwas Gutes gegeben hat, so richtet Euch danach und befolgt es! Achtet weiter darauf, dass kein Streit und keine bösen Worte zwischen Euch aufkommen. Und ich bitte Euch, nichts zu verändern oder Neues einzuführen.“
»Wenn der Herr uns glückliche Tage schenkt, wollen wir uns darüber freuen. Aber wenn wir von allen Seiten angegriffen werden und uns an die hundert Übel zu umringen scheinen, dürfen wir nicht aufhören, uns ihm anzuvertrauen. Denn es gibt keine höhere Macht als Gott, der der König der Könige und Herr aller Herren ist.«
Und in der Mitschrift von den letzten Worten Calvins heißt es dann:
»Danach bat Calvin den gütigen Gott darum, er wolle uns leiten, immerfort regieren, seine Gnade unter uns mehren und sie zu unserem Heil und zum Heil dieses ganzen armen Volkes wirksam werden lassen. Anschließend nahm er Abschied von allen Brüdern, die ihn einer nach dem anderen mit der Hand berührten und sämtlich in Tränen ausbrachen. Geschrieben am 1. Mai 1564, des Monats und Jahres, in dem er am 27. Tag verstarb.«

Paulus wirkt manchmal selbstbewusster als Calvin. Paulus war natürlich ein Apostel und Calvin nur ein Lehrer, Prediger und zu seinem Leidwesen ein Reformator (Calvin wollte kein Reformator sein. Er hätte sein Leben lieber in der Studierstube verbracht. Dann würden wir ihn wohl für seine geniale Auslegungen achten. Ob wir dann auch seine seelsorgerliche Begabung, die auch in seiner Auslegung und Predigt zum Ausdruck kommt, erkennen könnten? Auf jedenfall kennt man ihn heute eher als der Kämpfer, jener Mann, der geradlinig vor Gross und Klein das gleiche sagte. Dabei hat er Fehler gemacht, wie er ja selber zugibt: s.o.)

Aber auch Paulus, der Choleriker stellte fest:
„Denn wenn wir uns selbst richten, würden wir nicht gerichtet werden;“ (1. Kor. 11,31) 
oder

„Wer ist schwach, und ich bin nicht auch schwach? Wem wird Anstoss bereitet, und ich empfinde nicht brennenden Schmerz? Wenn ich mich rühmen soll, so will ich mich meiner Schwachheit rühmen.“ (2. Korinther 11,29+30)

Oder

„Und er hat zu mir gesagt, Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft wird in der Schwachheit vollkommen! Darum will ich mich am liebsten vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, damit die Kraft des Christus bei mir wohne.
Darum habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten, an Misshandlungen, an Nöten, an Verfolgungen, an Aengsten um des Christus willen; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ (2. Korinther 12,9-10)

Das Wort des Herrn! Und es ist auch das Zeugnis von Paulus, dass er als Choleriker, also als Willensstarker, lernen musste, schwach zu sein, damit Gottes Kraft wirken kann. Für einen Menschen wie Paulus muss dies besonders schwer gewesen sein. Er hatte einen eisernen Willen. Bereits seine Bekehrung war für ihn ein „vom hohen Ross fallen“. Aber als Christ ging es noch viel weiter. Er der ein ganz besonderes Werkzeug als Apostel und Missionar sein durfte, er den Gott benutzte um Fluch und Heilung zu wirken, musste erkennen, dass wenn er schwach war, Gottes Kraft wirken konnte. Es ist ein Wunder, dass er das erkennen durfte (und dann natürlich mit seinem starken Willen 100% sich dafür einsetzte: „Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ Für jeden anderen Charakter ist dies nicht so schwer. Der Melancholiker leidet  sowieso und ist froh um diesen Zuspruch. Der Sanguiniker mit seinem überbordenden Positivismus, nimmt es einfach an, vielleicht ohne zu bemerken, was dies in der Tiefe wirklich bedeutet und der Phlegmatiker stellt es in seiner vernünftigen Distanziertheit nüchtern fest. Aber für einen Choleriker ist es eine Bankroterklärung seines Willens. Vermutlich ist es seine Art des „Sterbens“, damit Christus herrschen kann.

Und übrigens auch Paulus sagt: „wenn ich auch nichts bin.“ (2. Kor. 12,11b) Das klingt eigentlich wieder sehr ähnlich, wie sich Calvin ausdrückte. Nur Paulus empfahl an anderer Stelle, ihn in allen Dingen nachzuahmen. Man müsste nun diese Bibelstelle noch genauer analysieren. Sicherlich meinte er nicht, dass er aus eigener Kraft perfekt gelebt hat. Das sehen wir alleine schon aus Römer 7 und 8. Er meinte wohl, auch im Sinne von 2. Kor. 12,11b ihn nachzuahmen.

Ich möchte mit diesem Gedanken schliessen:

In Christus haben wir alles. Ohne haben wir nichts. Herr hilf, dass wir in Dir ruhen und dass Du alles für uns bist.

„Und wiederum: „Der Herr kennt die Gedanken der Weisen, dass sie nichtig sind.“
So rühme sich nun niemand irgendwelcher Menschen; denn alles ist euer:
Es sei Paulus oder Apollos oder Kephas oder die Welt, das Leben oder der Tod, das Gegenwärtige oder das zukünftige – alles ist euer;
Ihr aber seid des Christus, Christus aber ist Gottes.“
(1.    Korinther 3,21-23)
Ich glaube John Piper hat u.a. über diese Worte in der Liberty Universität geredet. Bis jetzt habe ich ihn als ein ruhiger Redner kennen gelernt. Aber dieses: Alles ist euer! Lässt er in dieser Predigt sehr laut verkünden! (s. http://www.youtube.com/watch?v=MqddRLt2xJw
)