Ich habe mit dem Lesen dieses Buches begonnen und bin tief beeindruckt.
„justitia distributiva“ = so fasste Luther zuerst Gottes Gerechtigkeit auf: fordernd, strafend, verurteilende Instanz. (S. 16)
Die Leistungsgerechtigkeit = «justitia activa» trieb Luther
in die Verzweiflung und teilweise in einen Gottes Hass.
S. 23: hier ist Luther gar nicht so weit weg, wie der Philosoph Friedrich Nietzsche, der « Die Moral, das Gottesgebot, das Gewissen, vor allem aber Gott selbst, muss weg. Gepriesen sei der Antichrist, der uns das neue ‘moralinfreie’ Leben ermöglicht, das Leben in Freiheit, das Leben ‘jenseits von gut und böse’.
Martin Luther hätte diesem Philosophen geantwortet: Das, was
du suchst, das, was du unter Abschaffung Gottes erstrebst, eben das hat Gott
uns in Jesus Christus geschenkt! Er hat uns einen Platz, einen festen Standort
geschenkt, der nicht begründet ist durch unsere guten Werke und der nicht
unterwühlt und gesprengt wird durch all unsere Bosheiten. Die Gnade gibt uns
eine Position jenseits, oberhalb all unserer Taten, jenseits und oberhalb der
Forderung und des vernichtenden Urteils des Gesetzes. Jesus Christus
nimmt uns in Gnaden an, das ist in der Tat ‘eine transmoralische
Rechtfertigung des Menschen’ (Rohrmoser). Nicht wegen unserer Werke werden
wir gerechtfertigt.»
Denn die «justitia passiva» ist ganz anders!
Darum ist Jesus (laut Luther): «der grösste Räuber, Mörder, Ehebrecher, Dieb, Tempelschänder, Lästerer …, der durch keinen Verbrecher in der Welt je übertroffen wird» (S. 16 und 17).
«Die ganze Gewalt liegt darin, dass einer die Pronomina gut
auf sich bezieht.» sagt Luther (S. 17): «Für dich!»
«’Was immer ich und du und alle an Sünden begangenen
haben und in Zukunft noch begehen werden, gehört so eigentlich zu Christus, als
wenn er selbst diese Sünden begangen hätte. Alles in allem, es muss unserer
Sünde Christi eigene Sünde werden, oder wir sind in Ewigkeit verloren …
Das ist unser höchster Trost, Christus … so einhülle zu dürfen in meine, deine
und der ganzen Welt Sünden, dass wir ihn sehen dürfen als den, der unser aller
Sünde trägt’. (S. 169). «Gott hat unsere Sünde nicht auf uns, sondern auf
Christus, seinen Sohn, gelegt’ (S. 169).»
Du sollst Petrus sein, du sollst Siegfried Kettling sein –
das ist das rettende Wort. Dass wir ja hier Jesus nicht für sich nehmen. Jesus
ist nicht irgendeine Privatperson, …» (Seite 19)
Christus
ist Kettler, André, … Wir sind in Christus.
Gerechtigkeit, Glaube, Liebe, Hoffnung, und ich vermute
sogar «Leistung», d.h. die guten Werke, kann man als Leistungsbegriffe oder –
wie es biblisch wäre – als Gnadenbegriffe, als Beziehungsbegriffe verstehen. So
ist der biblische Glaube kein Fortstellungskraft-Glaube, sondern ein
Beziehungsglaube! Auch die Gerechtigkeit ist eine Beziehungsgerechtigkeit, d.h.
Gott ist gerecht = Gott ist treu + Gott ist barmherzig. Gott hält, was er
verspricht. Und das bedeutet, wenn ich Gerecht leben will, lebe ich treu und
barmherzig! Ich lebe Beziehung!
Ich sage es zunächst theologisch: Was in der Christologie
verboten ist, eine Lästerung, genau das isst in der Rechtfertigungslehre
geboten, ist heilsnotwendig. Was meint das?
In der Christologie (der Lehre von der Person Jesu) betone
ich zunächst den unendlichen Abstand zwischen Ihm und mir, zwischen dem
‘eingeborenen Sohn Gottes’ und mir, zwischen dem ‘eingeborenen Sohn Gottes’ und
mir, dem Adamskind. Da werde ich gegen jede ‘Jesulogie’ kämpfen, d.h. gegen
jeden Versuch, Jesus von unten, von unserem menschlichen Niveau her zu
definieren – etwa als den Gipfel der Menschheit, als das höchste Exemplar, das
unsere Gattung ‘homo sapiens’ hervorbrachte. Dabei ist es belanglos, ob man von
dem Religionsstifter, dem Genie der Liebe, dem Sozialreformer, dem Lehrer der
Humanität oder anderem schwärmt. Nein, Jesus ist nicht der Mount …» (S. 19 +
20)
Denn wir sind durch den Glauben zu einem Fleisch und Bein
verbunden … So dass dieser Glaube Christus und mich enger verbindet als Gatte
und Gattin verbunden sind’ (S. 111).» (S. 20 + 21)
Das darf ich Sünde, Tod und Teufel, der anklagenden Stimme
des Gesetzes und dem schlagenden Gewissen entgegenrufen: ‘Christus ist hier!’».
(S. 21)
‘Wenn ich an Christus glaube, stehe ich mit ihm auf und
sterbe meinem Grab, das ist dem Gesetz, das mich gefangen hielt: … ich bin
meinem Kerker entronnen und meinem Grab, nämlich dem Gesetz. So hat es kein
Recht mehr, mich anzuklagen und zurückzuhalten, weil ich auferstanden bin’ (S.
105).» (S. 21 + 22)
«Luther aber sagt: Die Tatsache, dass Christus in mir wohnt,
macht, ‘dass und ich aus meiner Haut herauskomme und in Christus und in sein
Reich versetzt werde …’ (S. 110).» (S. 22)
«Das ist der Grund, warum unsere Theologie Gewissheit hat: Sie
reisst uns von uns selber weg und stellt uns ausserhalb unser (extra nos),
so dass wir uns nicht auf unsere Kräfte, Gewissen Sinn, Person, auf unsere
Werke stützen, sondern auf das, was ausserhalb unser ist, nämlich auf die
Verheissung und Wahrheit Gottes, der nicht täuschen kann’ (S. 228).» (S. 22 +
23)
«In der Person-Sünde wurzeln alle Tat-Sünden. Weil der Baum
kernfaul ist, darum stinken die Früchte. Ich habe nicht Sünden, ich bin Sünder,
Rebell gegen Gott, bis in die Urgründe meiner Motive, Gedanken und Sehnsüchte.
Ich bin’s! Es ist höchst oberflächlich von Sündenpaketen, Sündenschulden,
Sündenfesseln, Sündenflecken zu reden. Es geht um mich, die Sünder-Person! Wer
jetzt die Sünde entfernen will, der muss den Sünder selbst aufheben. Wer
mir meine Sünde abnehmen will, der muss mir schon mich selbst abnehmen. Der müsste
an meinen Platz treten, so dass er ich und ich er würde!» (S. 18)
Denn Gottes Gerechtigkeit ist nicht etwas, eine Eigenschaft,
ein Vorgang, eine Tag; sie ist Jesus Christus selbst.
«Er ist uns gemacht zur Gerechtigkeit’ (1. Kor. 1,30).
‘Der im Glauben ergriffene und im Herzen wohnende Christus
ist die christliche Gerechtigkeit, derentwillen Gott uns als gerecht betrachtet
und das ewige Leben schenkt’ (s. 90).
Die hat Luther in seinem Galaterkommentar (1531) gewaltig
bezeugt.»
Revolutionärer Gedanke. Wo ist sie dann?
«Daher sind die Sünden in Wirklichkeit nicht dort, wo sie
gesehen und gefühlt werden. Nach der Theologie des Paulus ist ferner keine
Sünde, kein Tod, kein Fluch mehr in der Welt, sie sind in Christus, der als
Lamm Gottes der Welt Sünde trägt, der zum Fluch gemacht ist, dass er uns vom
Fluch befreite. Aber nach der Philosophie und der Vernunft sind Sünde, Tod etc.
nirgends anders als in der Welt, im Fleisch, in den Sündern … Die wahre
Theologie aber lehrt, dass ferne keine Sünde mehr in der Welt sei, weil der
Vater alle Sünde auf Christus geworfen hat’ (S. 17).» (S. 25)
«Wo also der Glaube an Christus ist, da ist die Sünde in
Wahrheit abgetan, tot und begraben, wo dieser Glaube nicht ist, bleibt die
Sünde (s. 172). Sofern also Christus durch seine Gnade in den Herzen der
Gläubigen regiert, ist da keine Sünde, kein Tod, kein Fluch. Wo aber Christus
nicht erkannt wird, bleiben diese furchtbaren Mächte’ (S. 170).»
Wisst ihr nicht: wem ihr euch zu Knechten macht, um ihm zu
gehorchen, dessen Knechte seid ihr und müsst ihm gehorsam sein, es sei der
Sünde zum Tode oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit? Gott sei aber gedankt, dass
ihr Knechte der Sünde gewesen seid, aber nun von Herzen gehorsam geworden der
Gestalt der Lehre, der ihr ergeben seid. Denn indem ihr nun frei geworden seid
von der Sünde, seid ihr Knechte geworden der Gerechtigkeit." Römer 6,15 ff).
So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod,
damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des
Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.»
Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleichgeworden sind
in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein.
Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt
ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so dass wir hinfort der Sünde
nicht dienen
Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde.
Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass
wir auch mit ihm leben werden, und wissen, dass Christus von den Toten erweckt
, hinfort nicht stirbt; der Tod kann hinfort über ihn nicht herrschen.
Denn was er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben
ein für allemal; was er aber lebt, das lebt er Gott.
So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben
seid und lebt Gott in Christus Jesus.
So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen
Leibe, und leistet seinen Begierden keinen Gehorsam.»
(Römer 6,3 ff.)
- Sind wir wirklich
wiedergeboren? Oder haben wir nur verstandesmässig das Evangelium
verstanden und pervertieren nun mit unsere Vernunft die Gnade zur billigen
Gnade?
- Sind wir von Gott
wiedergeboren, aber haben noch nicht erkannt, dass wir uns der Sünde
versklaven können, wenn wir uns ihr ergeben?
Vor dem allem gilt: Was ist meine Motivation? Leistungsdenken (= fleischlich) oder Gnadengerechtigkeit (= geistlich). Beim ersteren kann es gar nicht anders sein, als dass er alles als Leistungsdenken ableitet. Sein «Christsein» ist ein reiner «Chnorz». Bei den Zweiten ist es mangelnde Erkenntnis. Er wird von Satan und seinen Anfechtungen herausgefordert und weiss nicht sein Schild des Glaubens zu nutzen. Geistlich kämpfe ich nicht mit «fleischlichen» Waffen, d.h. mit meinem menschlichen Möglichkeiten, sondern ich gehe zu Christus. Denn Christus hat schon lange den Kampf gewonnen. Somit besteht der «geistliche» Kampf, indem ich mich «sportlich» täglich trainiere in Christus zu sein. Mein alter Mensch will aber lieber selber, aus eigener Kraft, aus eigener «Werthaltigkeit» usw. Christ sein. Aber in dem ich täglich Busse tue, d.h. zu Jesus gehe, werde ich barmherziger und gnädiger.
Luther:
PS: Kleiner Nebengedanke: Wie kann hier vertreten werden, dass Jesu für die ganze Welt gestorben ist und wir daher nur noch ja sagen müssen, wenn der Fünfpunkte Calvinismus vertritt, dass Jesus nur für die Erwählten ganz persönlich gestorben ist? 1. steht es so in der Bibel und auch für Calvin war die Bibel wichtiger als unsere menschlichen Formulierungen. Daher hat Calvin auch gewisse trinitarische Bekenntnisse nicht unterschrieben, was damals gefährlich war und missverstanden wurde: Ist Calvin ein Antitrinitarier? Von Calvin lernte ich, dass es zwar richtig ist, dass Antitrinitarier das Evangelium und seine Kraft durch Leistungsdenken ersetzen und daher ein anderes Evangelium verkündigen. ABER der Begriff Trinität kommt in der Bibel nicht vor. Also darf man auch mit anderen Worten an die Trinität glauben. Nach meiner Meinung ist das zwar für die Kommunikation nicht gerade optimal, aber wenn die Bibel Gottes Wort ist, dann ist sie auch der Massstab aller Massstäbe.
Zudem soll der Calvinismus mit der Zeit– auch im Streit mit
anderen Denkschulen – Denkmethoden von Aristoteles übernommen haben. Calvin war
dagegen noch misstrauisch. Ich denke, unser Verstand kann eben nicht alles
fassen, was aber Aristoteles glaubte zu können. Die biblische
Prädestinationslehre haben wir aber nicht unter Kontrolle und können sie nicht
wirklich ganz mit dem Verstand verstehen. Das finde ich gerade beim Thema der
biblischen Prädestination so faszinierend. Es treibt mich zur Anbetung Gottes!
Und auch hier beim Thema Gerechtigkeit spielt es hinein:
Letztendlich gibt es Dinge, die wir mit unserem Verstand
nicht erfassen können, bzw. nur bruchstückhaft erklären können. Es gibt, wie
ich es J. I. Packer sagte hier eine Antinomie! Sich gegensätzlich
widersprechende Aussagen/Gesetze. Gottes Allmacht und unsere Verantwortung.
Packer beschreibt dies in seinem Büchlein: Prädestination und Verantwortung,
Gott und Mensch in der Verkündigung.
Und diese Spannung muss man aufrecht erhalten. In der Bibel
erklärt sich diese Spannung. Hier lernen wir, wie wir sie anwenden müssen. Denn
nicht wir haben Gott oder sein Wort, die Bibel unter Kontrolle, sondern Gott
uns sein Wort haben uns in der Hand. Daher ist es vernünftig, dass unser
Verstand dies nur bruchstückhaft versteht. Vielleicht ist es so ähnlich,
wie zwischen der Spannung zwischen Mann und Frau: Beides sind Menschen und
trotzdem scheinen sie manchmal von einem anderen Stern zu kommen. Aber auch
hier dürfen wir die Spannung aufrechterhalten. Vermutlich ist es wie beim
Strom: Er ist es sehr wichtig, dass man die Spannung aufrecht erhält oder aber
der Strom kann seinen Zweck nicht mehr erfüllen.
Daher geht wohl beim Fünfpunkte Calvinismus der dritte Punkt
zu weit: Jesus sei nur für die Erwählten gestorben. Allerdings, ist es im
Endeffekt natürlich genauso. Nur, wer erwählt ist, wird beim Hören des
Evangeliums vom Heiligen Geist wiedergeboren, d.h. befreit von der Sklaverei
der Sünde und will sich bekehren. Das glaubte Luther ja auch (im Gegensatz zu
vielen heutigen Lutheranern). Und dennoch konnte Luther davon reden, dass Jesus
für die ganze Welt gestorben ist! Auf der anderen Seite haben die Fünfpunkte
Calvinisten auch recht: Es ist eine persönliche Rechtsprechung. Jesus hatte an
mich gedacht. Er übernahm wirklich meine Sünden und hat mich vor Grundlegung
der Welt erwählt und geliebt! Wenn Luther lehrt, Jesus ist für die ganze Welt
gestorben, so versteht auch er es nicht als Allversöhnung: Man muss dazu ein Ja
haben, sonst gilt es nicht. Das klingt nun sehr arminianisch. Aber es wird nur
zum Arminianismus, wenn man die Gesamtaussage der Bibel aus dem Auge verliert.
Das gleiche geschieht, wenn man nur unsere Verantwortung betont und Gottes
Allmacht vergisst. (Und es gehört ja auch zu unserer Verantwortung, dass wir zu
Jesus gehen. Aber wir können es nicht, solange wir unter die Sünde verkauft
sind und uns Gott nicht wiedergeboren hat. Verantwortung und Möglichkeit klafft
hier auseinander = typische Opfersituation. Nur dass wir wirklich unsere Sünden
ausleben wollen und daher nicht einfach nur Opfer sondern auch Täter sind.)
Wir müssen sicherlich auch unterscheiden zwischen dem was Gott offenbarte und was wir erleben. Ich bekehre mich (= subjektiv). Gott offenbart in der Bibel, dass davor Gott mir eine geistliche Wiedergeburt geschenkt hat. (= objektiv). Letzteres kann ich nicht wissen, ohne dass mir das Gott in der Bibel offenbart hätte.