Es gibt Leute, die glauben, der säkulare Staat habe dies mit den Staatskirchen erreichen können, darum müsse man auch andere Religionen verstaatlichen, um sie so kontrollieren zu können. Historisch stimmt das natürlich nicht. Die verschiedenen Schweizer Kantone waren nie von der Kirche getrennt, in dem Sinne, dass man sich nicht als eine christliche Nation verstanden hätte. Natürlich hatte Genf immer schon (bzw. ab Ende der Wirkungszeit von Johannes Calvin) eine gewisse organische Trennung zwischen Staat und Kirche. Calvin selber hat sich dafür in Genf eingesetzt. Aber hier ging es mehr darum, dass der Staat die Kirche nicht instrumenatlisiert, was dann in den USA zu einer bemerkenswerten Trennung von Kirche und Staat führte: Freiheit in wirtschaftlicher, religiöser und poltischer Weise: ABER auf der Basis des Christentums: konkreter des Puritanismus oder Calvinismus. Darin fanden sich auch viele Freidenker wie ein Benjamin Franklin wohl und konnten mitgestalten, weil ihre Aufklärung ja selber sekularisierte reformierte Theologie waren! Natürlich verlor der Sekularismus etwas an Kraft und Logik, indem es die biblischen Grundlagen teilweise verlassen hatte. (John Lock zum Beispiel war Sohn von Puritaner und glaubte an die Verbal-Insparation der Bibel.)
Armin Sierszyn, ein pensionierter Dekan der reformierten Kirche und ehemaliger Professor der Theologie hat hierzu am 7.4.2018 in Olten (Kanton Solothurn) einen interessanten Vortrag gehalten, der mir Herzschmerz auslöste, weil er wohl recht hat.
Für diesen Auflösungsprozess sind die Kirchen und ihre Theologen selber verantwortlich.
"Europas Kirchen sind durch die Erneuerung der Reformation zu Leuchten für den Kontinent, ja für die ganze Welt geworden. Es ist das Licht des reformatorischen Evangeliums, das in Europa zuerst die Demokratie heraufführt. Durch die Revolution der Calvinisten (im weitesten Sinne) wird England 1688 zur ersten Repräsentativen) Demokratie der Welt (Glorious Revolution, Bill of Rights). die neu gewonnene Freiheit, verbunden mit dem calvinistischen Arbeitsethos, führt zu Wettbewerb, Innovation und zur westlichen Industrialisierung. Das kleine England löst das mächtige und behäbige China in Sachen Wirtschaftsleistung ab. der Westen entwickelt sich zum Vorort der Welt."
Damit ist natürlich nicht gesagt, dass England immer alles richtig gemacht hat. Gerade das gehört natürlich auch zu einem gesunden Selbstverständnis einer christlichen - reformiert - geprägten Gesellschaft: Die Fähigkeit Fehler zu erkennen, zu Jesus zu gehen, Vergebung erfahren und wieder neu anfangen.
Leider aber entwickelte sich aus der spätpietistsichen Fakultät in Halle die Bibelkritik. (Pietismus finde ich prinzipiell eine positive Bewegung. Aber sogar die Antichristen kommen immer aus den christlichen Kreisen ...) Daraus entwickelt sich der säkulare Neuprotestantismus. Also anstelle, dass die Christen der Gesellschaft helfen und der Welt, dem Säkularen stützen, werden sie selber säkular. "Seit über 200 Jahren denkt der Neuprotestantismus mehrheitlich säkular (F. Schleiremacher, A. v. Harnack). Er verändert und verrät das biblische Gotteswort und gleicht sich den trendigen Zeitströmungen an: platonischer Idealismus, braune Kirche. Und seit 1968 rote, grüne, ökologische, feministische Kirche in immer schnelleren Kadenzen. Im letzten Viertel des 20. Jahrunderts kommt ein neues Phänomen hinzu. Es fallen die Dämme der Tradition. Damit wir das Sterben der europäischen Kirchen sichtbar. Auf der anderen Seite ist der aktuelle säkulare Geist nicht nur omnipräsent, sondern auch aggressiv bis hinein in evangelikale Kreise und Pastorenfamilien. Die Alternativkultur von '1968 und post 68' ist auf ihre Weise auch eine bekennende Kultur. Es ist eine 'Erweckung' nicht von oben, sondern von unten, vom Menschen her. Sie hat sich während zweier Generationen in tausend Kanälen tief ins Leben der europäischen Gesellschaften eingesenkt. Sie ist eine Kultur des Egoismus, des Forderns der multioptionalen Selbstverwirklichung und der Leistungsverweigerung. Biblische Werte wie Hingabe oder selbstloses Dienen sind in den ermanzipativen Lebensmodellen verpönt."
Er geht auch auf die 5'500'000'000 Euro, die alleine die EKD erhält und damit vorallem eine Langzeit-Absicherung fürPfarrpensionen betreibt. Dazu versucht sie noch "Leuchtpunkte" zu errichten. Der Sterbeprozess wird auch in der Zürcher Landeskirche ähnlich begleitet mit ihrem "Kirchgemeinde Plus". Anstelle mit Geist Gottes will man mit ökonimischen Mitteln sanieren. Der Neuprotestantismus denkt nicht von Gott her, sondern nur immer vom Menschen her. Das erinnert mich an das Gebot: Liebe Gott den Herrn der Welt und Deinen Nächsten, wie Dich selber. Zuerst Gott, denn erst dann kann ich den sündigen Menschen lieben. Umgekehrt kommt es nie gut. "Auf diesem Weg lässt sich sterben, da stirbt auch das Land, in dieser Reihenfolge." Warum wollt ihr, dass das Land zugrunde geht? Diese Frage steigt in mir auf. Warum wollt ihr Ordnung und Freiheit mit Sklaverei und Tyrannei wechseln. Ihr seid doch klug und studiert. Warum?
Sehe ich es falsch. Ich wäre glücklich, es wäre so.
"Nicht primär die Politiker, sondern der scheinbar immer trendige Neuprotestantismus hat die europäischen Kirchen und damit den ganzen Kontinent verraten. Statt im biblisch-reformatorischen Sinne sein Wächteramt wahrzunehmen und den politisch und kulturell Mächtigen die Suppe zu salzen, verkaufte der Neuprotestantismus die schnell wechselnden Zeitgeistideologien je und dann als Evangelium der Zeit."
Interessant ist in diesem Sinne auch die Kritik von Thomas Hürlimann, einem Schweizer Schriftsteller: s. unter PS diesem Text angefügt.
Interssant ist nun, dass Sierszyn denkt, dass Gottes Wort trotz allem nicht aufgehalten werden kann. Selbst wenn die Kirche ihren Auftrag vergessen, bzw. um 180 Grad verdreht hat. Gott kann dann - wie im Alten Testament - auch mit Heiden sein Wort erfüllen.
Am Schluss zitiert er dazu Zwingli, der schon vor 500 Jahren gesagt hat:
"Warlich, gottes Wort wirt alsgwüss sinen Gang haben als der Ryn; den mag man ein Zyt wol schwellen, aber nit gstellen." Auf Neuhochdeutsch: "Gottes Wort wird so gewiss seinen Gang haben wie der Rhein; den mag man wohl eine Zeit lang stauen, aber nicht aufhalten."
PS: Interessant sind dann natürlich nicht nur das alttestemntliche Beispiel (Altes Testamen = jener Teil der Bibel, die wir Christen mit den Juden gemeinsam als Bibel akzeptieren.), sondern auch die heutigen Heiden. Er nennt drei Beispiele:
1. Gregor Gysi, Chef der europäischen Linken, wenn er sagt:
"Ich glaube zwar nicht an den da oben, aber ich fürchte mich vor der Glaubenslosigkeit unserer Gesellschaft." Denn weder Kapitalismus noch der Sozialismus tauche dazu, verindliche allgemeine Grundwerte für die Gesellschafft zu liefern.
2. Michel Houellebecq, ein französischer Schriftsteller. 2016 erhielt er in Deutschland den Schirrmacherpreis für seinen preisgekrönten Roman Soumission (Unterwerfung). "Der deutschen Kulturkorona in Berlin erklärte der Geehrte unumwundne, Europa begehe einen ziemlich raschen Selbstmord, indem es die eigene Reprodutkon verweigere. Nur eine neu erwachte jüdische oder christliche Spiritualität würde es Europa ermöglichen, der Herausforderung des Islams auf Augenhöhe zu begegnen."
3. Thomas Hürlimmann, ein schweizer Schriftsteller (s. Tagesanzeiger vom 20.10.2016):
"Ich möchte nicht in einer Gesellchaft leben, die sich restlos entsakralisiert und ihre Gläubigen auf Moralismus gründet. Die heutigen Theologen versuchen, uns mit Ethik vom Glauben an Gott zu dispensieren. Aber wir werden ja trotz aller Bemühungen der Kirchen nicht zu Agnostikern. Wir glauben weiter. Und da diese Glaubensbereitschaft einen Inhalt haben muss, formiert sich die Gesellschaft in einer Sekte, die sich selbst überwacht und terrorisiert.
Der neue Katechismus heisst:
1. Gebot: Du sollst den Abfall trennen.
2. Gebot: Du sollst dich vegan ernähren.
3. Gebot: Du sollst alles durchgendern.
4. Gebot: Du sollst tolerant sein wie Globi im neuesten Globibuch.
... In der Moralschwemme ist das Geheimnis abgesoffen. Wo früher das Kreuz hing, hängt heute ein Rauchverbot. Ist man krank und verzweifelt, fühlt man sich von einem Hiob oder einem Jesus am Kreuz verstanden. die Kreuzesverächter meinen, das Kreuz mit seinem blutigen Geschehen mache uns Angst. Gerade das Gegenteil ist der Fall! Der Gott am Kreuz versteht meine Ängste, begleitet mich, teilt mein Leid."
Man bedenket: "So sprechen heute in Europa herausragende Heiden oder aus der Kirche Ausgetretene! Ob die Kirche ihre Stimmen noch hören kann? Wo die Kirche Gottes Wort nicht mehr zu treiben vermag, kann Gott auch Heiden in seinen Dienst nehmen. Esra 1 berichtet zum Beispiel vom Perserkönig Kyrus, dessen Geist der Herr erweckte. ..."
Ich kann den Vortrag nur empfehlen zu lesen. Selbst, wenn man es ganz anders sehen sollte, ist es sehr interessant.
Hier ist der Text:
Biblisches
Bekenntnis im europäischen Horizont des Jahres 2018
Vortrag
von Armin Sierszyn am 7.4.2018 in Olten
1.Jesus
Christus, der HERR
Johannes
Calvin schreibt 1548 an Pierre Viret in Lausanne: «Wo Wahrheit unterdrückt
wird, weh uns, wenn wir so feig wären, es stillschweigend hinzunehmen»[1]. Das Bekenntnis zu Jesus
Christus ist für die Gemeinde Jesu Christi zu allen Zeiten aktuell. Bereits im
zweiten Jahrhundert wird die christliche Kirche ganz besonders herausgefordert
durch die Säkularmacht der Gnosis, welche die Gemeinden durch ekstatische
Erlebnisse und abgehobene Ideen von innen her aufzulösen und mit dem
Hellenismus zu versöhnen versucht.
Der Apostel Paulus lehrt: «Wenn man
von Herzen glaubt, wo wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so
wird man gerettet» (Röm 10,10). Das Bekenntnis erscheint hier als Folge und
Bestandteil des Glaubens. Es ist nicht etwas Zerquältes oder ein lästiges
Müssen. Der Mund bekennt, was das Herz glaubt und wes das Herz voll ist. Erst der
Glaube macht uns frei, Jesus zu bekennen, ohne die Menschen zu fürchten. Es gilt ein frei Geständnis / in dieser
unsrer Zeit, / ein offenes Bekenntnis / bei allem Widerstreit, / trotz aller
Feinde Toben, / trotz allem Heidentum / zu preisen und zu loben das Evangelium (K.J.
Spitta). Das Bekenntnis des Glaubens ist Ausdruck der Freude, der Hoffnung und
der Zuversicht.
Die christliche Kirche trägt in
ihrem Anfang und in ihrer Mitte ein Urbekenntnis.
Es heisst kurz und knapp «Jesus Christus» (griech. JESOUS CHRISTOS). M.a.W.:
Jesus ist der Christus, er ist der Gesalbte Gottes, der verheissene Messias.
Ein zweites Urbekenntnis der christlichen Gemeinde bezeugt uns zum Beispiel
Paulus in Phil. 2,11: KYRIOS JESOUS!, das heisst: Herr ist Jesus!
2. Von der Kraft des reformatorischen
Bekenntnisses
Die
Evangelisten bezeugen das Wort alle mit ihrem Blut oder in der Verbannung. Auch
die Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin sind allesamt Bekenner des Wortes
Gottes. Bei seinem Gang nach Worms (1518) wird Luther an das Geschick von Jan
Hus in Konstanz erinnert, man bedeutet ihm, auch in Worms könne man Ketzerasche
in den Rhein streuen. Der deutsche Reformator geht mitten durch diese schwere
Anfechtung hindurch und beruft sich dabei auf Gottes Wort. Johannes Calvin
schreibt an Melanchthon zu Wittenberg: »Es ist … nicht gerade ehrenhaft für
uns, die Lehre, für deren Bezeugung die meisten Heiligen ohne Zögern ihr Blut
hergäben, nicht einmal mit Tinte bezeugen zu wollen»[2]. Die Reformatoren sind
bereit, ihre Haut auf den Markt zu tragen. Sie rütteln alle an den Tabus ihrer
Zeit und predigen entsprechend. Dadurch werden die Menschen aufmerksam und
horchen auf. Besonders die Schriften und die Predigtweisen von Luther und
Zwingli würden die heutigen Eliten als «populistisch» bezeichnen. Beim ganzen
damaligen Ablass-Betrieb stehen «hohe Millionenbeträge» auf dem Spiel. In ihrem
ganzen Kampf stehen und fallen die Reformatoren mit dem Wort Gottes wie die
Propheten des Alten Testaments.
Europas
Kirchen sind durch die Erneuerung der Reformation zu Leuchten für den Kontinent,
ja für die ganze Welt geworden. Es ist das Licht des reformatorischen
Evangeliums, das in Europa zuerst die Demokratie heraufführt. Durch die
Revolution der Calvinisten (im weitesten Sinne) wird England 1688 zur ersten (repräsentativen)
Demokratie der Welt (Glorious Revolution, Bill of Rights). Die neu gewonnene
Freiheit, verbunden mit dem calvinistischen Arbeitsethos, führt zu Wettbewerb,
Innovation und zur westlichen Industrialisierung. Das kleine England löst das
mächtige und behäbige China in Sachen Wirtschaftsleistung ab. Der Westen
entwickelt sich zum Vorort der Welt.
Schon
vor mehr als 100 Jahren entdeckte Max Weber die protestantische Berufsethik (Luther,
Calvinismus, Methodismus, Pietismus und Täufertum) als geistige Grundlage für
den Aufstieg von Kapitalismus, Arbeitsmoral und Industrie. Bereits John Wesley,
durch den Gott die Grosse Erweckung schenkte, hatte beobachtet, dass erweckter
Christusglaube «notwendig sowohl Arbeitsamkeit (industry) als auch Sparsamkeit
(frugality) erzeugen». Man müsse die Gläubigen deshalb ermahnen, «alles, was
sie können, zu geben, um so in der Gnade zu wachsen und einen Schatz im Himmel
zu haben»[3].
3. Falsches Bekenntnis: Wurzel des europäischen
Skeptizismus-Atheismus
Es
sind die grauenhaften Religionskriege – in Deutschland der 30-jährige Krieg, in
Frankreich die blutigen Hugenottenkriege -, die im 17. Jahrhundert im Herzen
Europas zur Quelle für Skeptizismus und Atheismus werden. Krieg und Pest
trieben die Zeitgenossen in derartige Verzweiflung, dass die Menschen in ihrer
Not auf die Gesundheit des Teufels anstiessen. Gerade die geistig Wachen und
Regen sagten sich: wenn es sich mit den ganzen Themen wie Gott, Bibel, Heiland
und Bekenntnis so verhält, dass sich die Menschen gegenseitig ins Elend
stürzen, dann ist «Glaube» wohl nichts mehr für uns. So wurden im 17.
Jahrhundert mitten auf dem europäischen Boden der Skeptizismus und Atheismus
geboren. Was der weltweite Export dieses europäisch-säkularen «Produkts» bis
heute weltweit bewirkt hat, brauche ich hier nicht auszuführen. Die
schrecklichen Kriege im konfessionellen Zeitalter wurden zwar im Namen des
Glaubens und mit Bekenntniseifer begonnen, sie führten aber in den Abgrund. Die
Bibel sagt: «Wenn jemand auch kämpft, so wird er doch nicht gekrönt, er kämpfe
denn recht» (2Tim 2,5).
4. Neuprotestantismus und sterbende
Kirchen
Auch
die neuprotestantische Theologie und Kirche – mit Teilen des Pietismus –
verfällt dem neuen Geist des Skeptizismus Im Kontext des neuzeitlichen
Methodenideals, das jegliche Transzendenz ausschliesst, entsteht ab 1750 vor
allem im Schoss der grossen spätpietistischen Fakultät in Halle die Bibelkritik
im Namen des modernen Bewusstseins (J.S. Semler). In Halle, der grössten
damaligen Fakultäten Deutschlands, steigt der säkulare Neuprotestantismus aus
dem Pietismus. Seit über 200 Jahren denkt der Neuprotestantismus mehrheitlich säkular
(F. Schleiermacher, A. v. Harnack). Er verändert und verrät das biblische
Gotteswort und gleicht sich den trendigen Zeitströmungen an: platonischer Idealismus,
braune Kirche. Und seit 1968 rote, grüne, ökologische, feministische Kirche in
immer schnelleren Kadenzen.
Im
letzten Viertel des 20. Jahrhunderts kommt ein neues Phänomen hinzu: Es fallen
die Dämme der Tradition. Damit wird das Sterben der europäischen Kirchen
sichtbar. Auf der anderen Seite ist der aktuelle säkulare Geist nicht nur
omnipräsent, sondern auch aggressiv bis hinein in evangelikale Kreise und
Pastorenfamilien. Die Alternativkultur von «1968 und post 68» ist auf ihre
Weise auch eine bekennende Kultur. Es ist eine «Erweckung» nicht von oben,
sondern von unten, vom Menschen her. Sie hat sich während zweier Generationen
in tausend Kanälen tief ins Leben der europäischen Gesellschaften eingesenkt.
Sie ist eine Kultur des Egoismus, des Forderns der multioptionalen
Selbstverwirklichung und der Leistungsverweigerung. Biblische Werte wie Hingabe
oder selbstloses Dienen sind in den ermanzipativen Lebensmodellen verpönt.
Weiter
fällt auf, dass sich unsere neuprotestantischen Kirchen weitgehend mit Fragen
der Spiritualität und der Sorge um die eigene Zukunft befassen. Allein die EKD
kassiert derzeit jährliche Steuereinnahmen von 5'500'000'000 Euro. Ein
beachtlicher Teil dieses Geldes dient der Langzeit-Absicherung von Pfarrpensionen
in 30-40 Jahren, weil die Kirche dann vermutlich noch weiter geschrumpft sein
werden. Anderes wird verwendet zur Statuierung von kirchlichen «Leuchtpunkten»
am Rande der Agglomerationen. Kann aber eine ökonomisierte Kirche noch
leuchten? Lassen sich mit Geld evangelische Leuchtpunkte schaffen? Das
Verhältnis von Geist und Geld ist hier um 180 Grad verkehrt! Mit Geld lässt
sich weder Geist noch Kirche bauen; wo aber Geist ist, da ist in der Regel auch
Geld. Auch die Zürcher Landeskirche versucht einseitig, sich durch das Programm
«Kirchgemeinde Plus» ökonomisch zu sanieren. Auf diesem Weg lässt sich der
Sterbeprozess unserer Kirchen in der Tat nicht aufhalten. Wo aber die Kirchen
sterben, da stirbt auch das Land, in dieser Reihenfolge. Dies zeigen uns anschaulich
viele Geschichten im Alten Testament, zum Beispiel im 1. Buch Samuel. Während
die Israeliten sich von ihrem Herrn und Gott abwenden und den Baalim zuwenden,
werden sie schwach und stets aufs Neue eine Beute der Philister. Dann, «nach
langer Zeit, wendet sich das ganze Haus Israel dem Herrn zu». Sie verwerfen die
fremden Götter und Astarten und «richten ihr Herz zu dem Herrn und dienen ihm
allein» (1. Sam. 7). Durch diesen Busstag in Mizpa mit dem Predigtwort des Propheten
Samuel kann Israel wieder erstarken. «Und Israel hatte Frieden mit den Amoritern».
1. Samuel 7 zeigt uns anschaulich die tiefen ganzheitlichen Zusammenhänge
zwischen der Predigt des Wortes, dem Glauben und der Stärke des Landes. So ist
auch unsere Verirrung ein Ganzes: Ohne das prophetische Wort müssen Glaube und
Kirche sterben. Wo aber die Kirche darben muss, verwüsten auch Kultur und
Politik. Angesichts unserer kraftlosen und verweltlichten ökonomisierten
Kirchen schwimmen auch betörte Politiker scheinbar selbstbewusst auf den Wogen
des Zeitgeistes und treffen übermütige und selbstzerstörende Entscheidungen –
etwa im Blick auf den Islam.
5. Bekenntnis im Horizont der Heiligen
Schrift
Was
ergibt sich nun aus der Gestalt der Heiligen Schrift für unser Thema? Das Alte
Testament beginnt mit den Worten: «Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde
… Und Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht (1. Mose 1). Ganz ähnlich
eröffnet auch Lukas 2 den Weg des Neuen Testaments. Über den Fluren von
Bethlehem öffnet sich mitten in der Nacht der Himmel: «Und der Engel des Herrn
trat zu ihnen und sprach: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch
grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland
geboren, welcher ist Christus, der Herr in der Davidstadt» (Luk 2,10f).
Betrachten wir den heutigen Neuprotestantismus, so könnte man meinen, der Engel
habe den Hirten verkündet: «Ich verkündige euch grosse Probleme». Woher kommt
diese Verkehrung? Sie hat ihren Grund darin, dass der Neuprotestantismus immer
beim Menschen beginnt und sich an menschlichen Problemen orientiert. Die Bibel
zeigt uns indes, dass Gott seine Wege gerade andersherum sucht und findet. Im
Alten wie im Neuen Testament macht Gott immer selbst den Anfang. Die ganze
Geschichte unseres Heils beginn mit Gottes eigener Initiative. Der neuzeitliche
Mensch und seine Kirche aber wollen mit aller Kraft bei sich selbst beginnen.
Auch viele neuzeitlich Fromme nehmen sich selber tragisch ernst. Sie verkünden
sich selbst, sie suchen ihre Spiritualität und nehmen sich ernst mit ihren
Problemen.
6. Wir sind nicht die ersten: zwei biblisch-reformatorische
Bekenntnisse
Die
Geschichte der reformatorischen Kirchen ist auch eine Geschichte biblischer
Bekenntnisse. Hans Steubing hat die wichtigsten in einem schönen Buch
zusammengefasst[4].
Wir greifen zwei Bekenntnisse heraus.
1.Die
erste These der Berner Reformation
von 1528 lautet: «Die heilige christliche Kirche, deren einziges Haupt Christus
ist, ist aus dem Worte Gottes geboren und hört nicht auf die Stimme eines
Fremden»[5].
2.
In der 1. These der Barmer Theologischen
Erklärung (1934) gegen die braune Zeitgeistkirche lesen wir: «Jesus
Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem
wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben»[6].
In
diesen zwei Bekenntnissen wurde für uns gründliche Vorarbeit geleistet. Denn
der braune, der rote und der grüne Säkularismus sind alle auf demselben Stamm
gewachsen. Ihr Vorläufer ist das so genannte «dogmenfreie» liberal-säkulare
Christentum des 19. Jahrhunderts. Nicht primär die Politiker, sondern der scheinbar
immer trendige Neuprotestantismus hat die europäischen Kirchen und damit den
ganzen Kontinent verraten. Statt im biblisch-reformatorischen Sinne sein
Wächteramt wahrzunehmen und den politisch und kulturell Mächtigen die Suppe zu
salzen, verkaufte der Neuprotestantismus die schnell wechselnden
Zeitgeistideologien je und dann als Evangelium der Zeit.
7. Philipp Jacob Spener als Zeuge
Vor
360 Jahren, eine Generation nach dem 30-jährigen Krieg, verfasste Philipp Jacob Spener zuhanden einer
serbelnden Kirche das epochale Büchlein «Pia desideria» (1675). Diese «frommen
Wünsche» sind bis heute aktuell. Spener fasst sie zusammen in sechs Punkten:
1.Das
Wort Gottes ist reichlicher unter uns zu bringen.
2.
Jeder soll ermuntert werden, die Bibel selbst in die Hand zu nehmen.
3. Die Gemeinde soll für die
Irrenden beten und ihnen in herzlicher Liebe begegnen.
4. Das Theologiestudium soll
reformiert und praxistauglich gemacht werden.
5. Die Herren Professoren
sollen ein (geistliches) Vorbild sein.
6. Theologie besteht nicht
a.us Religionsphilosophie, sondern im Studium des Wortes Gottes[7].
Man
kann sich fragen, ob derzeit eine Erweckung von Pfarrern oder vom aktuellen
Pietismus ausgehen könne. Vielleicht gehören heute viele Theologen und
Pfarrpersonen zu den grössten Verhinderern einer christlichen Erweckung. Und
allzu viele Fromme beschäftigen sich doch eingehend mit sich selbst; dadurch
werden die Pfade eng.
8. Wenn Gott den Geist von Heiden
erweckt
Es könnte
ja auch sein, dass der lebendige Gott, wenn er sich Europas wieder annehmen
wird, völlig andere Kanäle gebrauchen will. Ich greife drei Zeitstimmen heraus.
1.Vor
wenigen Wochen bekannte Gregor Gysi, Chef der europäischen Linken, offen: «Ich
glaube zwar nicht an den da oben, aber ich fürchte mich vor der
Glaubenslosigkeit unserer Gesellschaft». Gemäss Gysi, der sich selbst auch
schon als «Heide» bezeichnete, taugen weder der Kapitalismus noch der
Sozialismus dazu, für die Gesellschaft allgemein verbindliche Grundwerte zu
liefern[8].
2. Im
September 2016 holte der französische Schriftsteller Michel Houellebecq in
Deutschland den Schirrmacherpreis für seinen preisgekrönten Roman Soumission
(Unterwerfung). Der deutschen Kulturkorona in Berlin erklärte der Geehrte
unumwunden, Europa begehe einen ziemlich raschen Selbstmord, indem es die
eigene Reproduktion verweigere. Nur eine neu erwachte jüdische oder christliche
Spiritualität würde es Europa ermöglichen, der Herausforderung des Islams auf
Augenhöhe zu begegnen[9].
3.
In einem ganzseitigen Interview des Tagesanzeigers vom 20.Oktober 2016 bekennt
der schweizerische Schriftsteller Thomas Hürlimann: «Ich möchte nicht in einer
Gesellschaft leben, die sich restlos entsakralisiert und ihre Gläubigen auf
Moralismus gründet. Die heutigen Theologen versuchen, uns mit Ethik vom Glauben
an Gott zu dispensieren. Aber wir werden ja trotz aller Bemühungen der Kirchen nicht
zu Agnostikern. Wir glauben weiter. Und da diese Glaubensbereitschaft einen
Inhalt haben muss, formiert sich die Gesellschaft in einer Sekte, die sich
selbst überwacht und terrorisiert. Der neue Katechismus heisst: 1. Gebot: Du
sollst den Abfall trennen, 2. Gebot: Du sollst dich vegan ernähren, 3. Gebot:
Du sollst alles durchgendern, 4. Gebot: Du sollst tolerant sein wie Globi im
neuesten Globibuch. … In der Moralschwemme ist das Geheimnis abgesoffen. Wo
früher das Kreuz hing, hängt heute das Rauchverbot. Ist man krank und
verzweifelt, fühlt man sich von einem Hiob oder einem Jesus am Kreuz
verstanden. Die Kreuzesverächter meinen, das Kreuz mit seinem blutigen
Geschehen mache uns Angst. Gerade das Gegenteil ist der Fall! Der Gott am Kreuz
versteht meine Ängste, begleitet mich, teilt mein Leid.
So sprechen heute in Europa
herausragende Heiden oder aus der Kirche Ausgetretene! Ob die Kirche ihre
Stimmen noch hören kann? Wo die Kirche Gottes Wort nicht mehr zu treiben
vermag, kann Gott auch Heiden in seinen Dienst nehmen. Esra 1 berichtet zum
Beispiel vom Perserkönig Kyrus, dessen Geist der Herr erweckte. Warum geht Gott
solche Wege? «Damit das Wort des Herrn erfüllt würde, das durch den Propheten
Jeremia gesprochen war» (Esra 1,1). Gott steht zu seinem lebendigen Wort.
Dieses wird und muss in Erfüllung gehen – als Gnade oder als Gericht. Ich
schliesse mit einem Zwingli-Wort, das an die Wand des Kirchleins von Laufen am
Rheinfall angebracht wurde: «Warlich, Gottes Wort wirt als gwüss sinen Gang
haben als der Ryn; den mag man ein Zyt wol schwellen, aber nit gstellen»[10]. Dieses fröhliche
Vertrauen Zwinglis auf die weltverwandelnde Kraft des Wortes Gottes möge uns
leiten.
[1] J. Calvins Lebenswerk in seinen
Briefen, Hg. R. Schwarz, II (2.A.1962) 425
[2]
Johannes Calvins Lebenswerk in seinen Briefen, I (2.A.1962) 309
[3] M. Weber, Die protestantische Ethik
und der Geist des Kapitalismus (1904/1920, ND 2015); R. Southey, Wesley’s Leben
(1841, ND 2012) Kapitel 29. Vgl. auch N. Ferguson, Der Westen und der Rest der
Welt (2013), der Webers These bestätigt. Zum Ganzen vgl. A. Sierszyn,
Überwältigt durch das eine Wort.
Europas Aufstieg und Niedergang im Zeichen der reformatorischen Botschaft. Kl.
Schr. 14 (2017).
[4] H. Steubing, Bekenntnisse der Kirche
(1985)
[5] H. Steubing, a.a.O. 122
[6] H. Steubing, a.a.O. 300
[7] Vgl. A. Sierszyn, Der europäische
Säkularismus, die Sprachlosigkeit der Kirchen und die Gefährdung des
Kontinents. Kl. Schr.8 (3.A.2018).
[8] Der Tagesspiegel, 28.2.2018
[9] Vgl. FAZ und NZZ vom 27.9.2016
[10] Zu neuhochdeutsch: Gottes Wort wird
so gewiss seinen Gang haben wie der Rhein; den mag man wohl eine Zeit lang
stauen, aber nicht aufhalten. Vgl. Z III, 488, 7f.
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