Freitag, 3. September 2021

Cancel Culture

Hat Cancel Culture etwas mit Theologie zu tun? 

Natürlich: Die freie Presse ist eine Form des prophetischen Dienstes, dass zu einem Prediger oder Pfarrer ebenfalls gehört. Heinrich Bullinger, der Nachfolger von Huldrych Zwingli, wurde noch beim "Landi 39", der schweizerischen Landesausstellung vom 6.5.1939 bis 29.10.1939  als Pfarrer, Reformator und in gewissermassen "nebenbei" Journalist grossformatig aufgehängt. Bullinger prangerte für die freie Presse als eine Art Gegenbild zu dem, was damals gerade im Deutschen Reich geschah. Der zweite Weltkrieg begann während der Landi am 1.9.1939. Gott hatte es so geführt, dass man diese Ausstellung immer wieder verschoben hatte, bis sie auf diese Zeit viel und so viel zur geistlichen Landesverteidigung beitrug.

Dazu gebe es viel zu sagen. Aber zurück zum heutigen Thema: Cancel Culture. Im Schweizer Fernstehen wurde diese unten ausgestrahlte Sendung veröffentlicht und ist zur Zeit noch allgemein zugänglich. Eine wirklich sehenswertes Format. Und diese Ausgabe ist mit dem Thema der freien Meinungsäusserung auch wichtig.

Ich bin froh, dass  eine solche Sendung noch möglich ist. Und dass die Cancel Culture auch hinterfragt wird. Zugleich ist es auch beängstigend, wenn in der USA, einem Licht für die freie Meinungsäusserung, gerade an den Universitäten sich diese Cancel Culture hemmend auf das freie Denken auswirkt. 

Interessant ist auch, dass Wissenschaft in unserer Zeit gerne verabsolutisiert wird. Dabei war der aussergewöhnliche Erfolg der Wissenschaft darin begründet, weil sie sich nicht absolut  verstand, sondern sich ständig hinterfragte: These erstellen und sehen, ob es sich in der Realität auch so verhält. Anhand der Forschungsergebnisse die These anpassen, allenfalls sogar ganz verwerfen usw. 

In der Reformationszeit schaute man in Gottes Wort (der Bibel), was Gott wirklich gesagt hatte und in der Schöpfung schaute man ebenfalls nach, ob unser Denken über die Schöpfung sich aus wirklich so verhält. 

Gerade in Zeiten von Corona waren viele verwirrt, da die Wissenschaft bis heute nicht Absoluta liefern konnte. Sie konnte mit all den riesigen Forschungsmitteln nur Ergebnisse und immer wieder neue Ergebnisse erarbeiten. Aber das ist nun mal Naturwissenschaft. Es ist eben keine Ideologie. Wenn man aber daraus nicht nur eine Erforschung des Mechanismus, des wie geht es, macht, sondern Antworten auf "Warum", Sinn oder gar Ethik, dann wird man nicht soviel herausholen können, weil das die Naturwissenschaft nicht beantworten kann. Die Soziologie und Theologie ist dann noch eine ganz andere Geschichte: Wie nimmt man die Wahrheit wahr? 

Frau Christiane Tietz, seit 2013 Professorin für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich, sagt in einem Interview im Kirchenboten (September 2021 Ausgabe) zur Frage, wo die historisch-kritische Methode ihre Grenze habe:

"Dort, wo sie behauptet, dass das, was historisch nicht belegt werden kann, Unfug sei. Weil wir beispielsweise nicht beweisen können, dass Jesus auferstanden ist, könne diese nicht sein. Wenn die historisch-kritische Methode behauptet, sie könne mit ihrer Sicht die Welt erschöpfend beschreiben, hat sie ihre Kompetenz deutlich überschritten."

Wie weit, hat das mit Cancel Culture zu tun, fragen Sie sich vielleicht. Zuerst einmal nichts. Aber (das muss ja kommen), wenn unsere Ideen wichtiger werden als die Realität, dann spielen wir Gott: Wir wollen der Massstab sein. Und dass bedeutet natürlich, dass wir wie Gott sein wollen. Leider fand gerade damit das ganze Leid und die Menschheitstragödie beim Sündenfall an. Sollte Gott gesagt haben? Sollte er es wirklich mit mir gut meinen? Und schon machen wir Dinge, die uns eben nicht gut tun. Zudem neigen wir dazu, dass wir das, was wir denken, als real zu betrachten. Gott hat uns in unserer Gottebenbildlichkeit Kreativität gegeben. Aber nicht alles, was wir danken und sagen, ist real und wahr. Bei Gott ist das natürlich anders. Gott spricht und schafft aus dem Nichts. Bei uns ist unsere Kreativität etwas eingeschränkter. Und das ist auch gut so. Als ich noch jung war, wurde dieses Thema auch gerne in Since Fiction behandelt. Und es ist erschütternd und sicherlich ernüchternd. Nun ist es noch so, wenn unsere Ideen gar politisch verwirklicht werden wollen, dann steht oft ein Idealismus dahinter, der gerne zu einem Perfektionsimus führt, der alles in diese Ideen hineinzwingen will. Darum führen Ideologien, wenn sie politische Realität werden gerne zu sehr unfreien Gesellschaften. Das gilt natürlich auch für Theologien. Allerdings bewahrt  uns gerade die biblische Gnadenlehre vor dem Idealismus und Perfektionismus. Ideologien und religiöser Perfektionismus können, wenn sie politisch Macht erhalten, sehr schnell der Versuchung erliegen, mit Zwang die Realität an ihre Ideen anzupassen. Das kann überall geschehen: In Theologie, Soziologie, theoretisch auch Naturwissenschaften. Allerdings handelt es sich dann im eigentlichen Sinne nicht mehr um Naturwissenschaften, sondern Ideologie mit wissenschaftlicher Verzierung. Am Hindukusch haben wir in diesen Tagen erlebt, wie der  20-jährige Versuch des Westen eine freie Gesellschaft zu schaffen, kläglich versagt hat. Auch das wäre interessant genauer zu analysieren, damit wir daraus lernen. War in Afghanistan denn je eine freie Gesellschaft erstanden? Sicherlich keine westliche. Aber auch hier: Schauen wir unten auf dieses Gespräch im TV CH, dass wirklich interessant ist. Am Schluss versucht man eine Harmonie oder einen Kompromiss der Meinungen zu finden. Vielleicht ist das typisch schweizerisch: Wir haben über Jahrhunderte gelernt, dass unsere vielen Bürgerkriege kostspielig sind, um dann einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Kantonen (oder damals Orte genannt) oder sozialen Schichten zu finden. Es ist viel billiger und effizienter, schon vor einem Bürgerkrieg einen Kompromiss zu finden.

Gerade hierin sehe ich auch die Kraft des gesunden Streites und der freien Presse. Dazu  benötigen wir auch Respekt vor der Realität und Würde eines jeden Menschen. Auch dies wird in dieser Diskussion zu Recht eingefordert.




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