Freitag, 2. September 2022

Sind Reformierte Kunstfeinde und Musikfeinde?

 Das dies nicht der Fall ist, beweist dieser Beitrag. Im Gegenteil, nicht nur Martin Luther, sondern auch die Reformierten revolutionierten im kirchlichen Bereich die Musik. 

Allerdings war in Zürich zur ersten Zeit der Chorgesang eingestellt worden und noch nicht der Gemeindegesang eingeführt. Aber während im Gottesdient alleine das Wort Gottes, die Bibel neu entdeckt worden ist, wurde die Musik in der Ausbildung und im privaten Bereich praktiziert: Huldrych Zwingli der Reformator von Zürich war sehr musikalisch und beherrschte viele wenn nicht alle damaligen Musikinstrumente. Er nutzte aber im Gegensatz zu Martin Luther diese Gabe nicht im Gottesdienst. Trotzdem wurde ihm seine Musikalität vorgeworfen: Denn er musizierte viel zu Hause und man weiss, dass er auch für ein Schultheater die musikalische Begleitung schaffte. Leider sind seine Lieder nicht wirklich überliefert, ausser der Text zu seinem bekanntesten Lied: Sein Pestgesang. Mit diesem Lied verarbeitet er seine Pesterkrankung.

Hier fand ich dazu mit folgenden Text:

Vorreformatorisch (?) von 1519: Hilf, Herr Gott, hilf in dieser Not! Zwingli war 1519 in Zürich an der Pest erkrankt, hat die Infektion aber überstanden. Eine mehrstimmige Version von Zwingli selbst ist nicht erhalten, hat aber existiert (siehe Altstimme in der Universitätsbibliothek Basel). Der 4stg Männerchorsatz stammt von Karl Gerstberger (1946). Aufgenommen mit einem Waldhorn von EINhorn.zollikerberg


Hier der Text (aus

https://www.zhref.ch/themen/reformationsjubilaeum/allgemeine-informationen/huldrych-zwingli/zwingli-lexikon-von-a-bis-z-1/lexikon-p/pestlied-zwinglis  per 2.9.2022):

Pestlied Zwinglis

Im Anfang der Krankheit

(Original)
(Übersetzung von Georg Finsier)


Hilff, herr gott,
Hilf, Herr Gott,

hilff in diser not!
hilf in dieser Not!

Ich mein, der tod
Ich mein', der Tod

sey an der thür.
sei an der Tür.

Stand, Christe, für;
Christ', bleib' bei mir;

dann du in überwunden hast!
denn Du ihn überwunden hast!

Zu dir ich gilff:
Zu Dir ich schrei';

Ist es dein will,
Ist es Dein Will',

züch uss den pfyl,
zieh aus den Pfeil,

der mich verwundt!
der mich verwund't!

Nit lasst ein stund
Es läßt kein Stund

mich haben weder ruw noch rast!
mich haben weder Ruh noch Rast!

Wilt du dann glych
tod haben mich
in mitz der tagen min, so sol es willig sin.
Kommt doch der Tod
auf Dein Gebot inmitten meiner Tag,
so folg ich ohne Klag.

Thu, wie du wilt:
Ist doch dein Will'

mich nüt befilt.
mir nicht zuviel.

Din haf 1) bin ich.
Dein Ton bin ich.

Mach gantz ald brich;
Form oder brich;

dann, nimpst du hin
denn nimmst Du hin

den geiste min
mir Geist und Sinn

von diser erd,
von dieser Erd,

thust du's, dass er nit böser werd,
tust Du's, daß er nicht böser werd,

ald andem nit
und andem nicht

befleck ir läben fromm und sit 2).
befleck ihr Leben fromm und licht.


Inmitten der Krankheit

Tröst, herr gott, tröst!
Tröst, Herr Gott, tröst!

Die kranckheit wachsst,
Die Krankheit wächst,

wee und angst
Weh und Angst faßt

faßt min seel und lyb.
mein Seel und Leib.

Darumb dich schyb
Darum, o bleib

gen mir, einiger trost, mit gnad,
bei mir, einziger Trost, mit Gnad,

die gwüss erlösst
die gern erlöst

ein yeden, der
ein' jeden, der

sin hertzlich bgär
all sein Begehr

und hoffung setzt
und Hoffnung setzt

in dich, verscherzt
in Dich und schätzt

darzu diss zyt all nutz und schad.
gering all zeitlich Nutz und Schad.

Nun ist es umm.
Nun ist es um.

Min zung ist stumm,
Mein Zung ist stumm,

mag sprechen nit ein wort.
mag sprechen nicht ein Wort.

Min sinn sind all verdort.
Mein Sinn sind all verdorrt.

Darumb ist zyt,
Drum ist es Zeit,

dass du min stryt
daß meinen Streit

fuerist fürhin,
Du führst fürhin,

so ich nit bin
da ich nicht bin

so starck, dass ich
so stark, dass ich

mög dapfferlich
mög' tapferlich

tun widerstand
tun Widerstand

des tüfels facht und fränner hand.
des Teufels Netz und Frevlerhand.

Doch wirt min gmuet
Doch mein Gemüt

stät blyben dir, wie er ioch wuet.
stets bleibt bei dir, wie er auch wüt'.


In der Besserung

G'sund, Herr Gott, gsund!
G'sund, Herr Gott, g'sund!

Ich mein', ich ker
Ich mein', ich kehr

schon widrumb her.
schon wied'rum her.

Ja, wenn Dich dunckt,
Ja, wenn Dich dünkt,

der sünden funck
daß nimmer sinkt

werd nit mer bherrschen mich uff erd,
mein Wesen in der Sünde Macht,

so muss min mund
so muß mein Mund

din lob und leer
Dein Lob und Lehr

ussprechen mer
aussprechen mehr

denn vormals ye,
denn vormals je,

wie es ioch gen,
- wie es auch geh -

einfaltigklich on alle gferd.
einfältiglich bei Tag und Nacht.

Wiewol ich muss
Obschon ich muss

dess todes buss
des Todes Buss

erleyden zwar ein mal
erleiden zwar einmal

vilicht mit grösserm qual,
vielleicht mit grössrer Qual,

dann yetzund wer
als jetzt es mir

geschähen, her,
geschehen schier,

so ich sunst bin
da fast ich bin

nach gfaren hin;
gefahren hin;

so wil ich doch
so will ich doch

den trutz und boch
trotzig Gepoch

in diser wält
auf Erden schon

tragen frölich umb widergelt
ertragen froh um Himmelslohn

mit hilffe din,
mit Hilfe Dein,

on den nüt mag vollkommen sin.
ohn' den nichts kann vollkommen sein!


1) "Hafen" = Topf, Krug, Geschirr. Zwingli nimmt hier Röm 9,20ff auf. Dies ist die grundlegende Stelle für Zwinglis Erwählungs-, Berufungs- und Yorsehungsglauben.

2) "sit" - Sitte oder sittsam.

3) "gferd" = Gefährdung. Hier denkt Zwingli wohl nicht an die äussere Gefahr für den Verkündiger, wonach sein Leben für seine Überzeugung in Gefahr kommt, sondern an die Gefahr einer Abweichung oder eines Abfalls von seiner Berufung, die er eben in der Krise des "Pest"-Erlebnisses überwunden hat.

Aus Ernst Saxer: Huldrych Zwingli. Ausgewählte Schriften. 1988

Hier noch  ein Versuch den Text musikalisch zu interpretieren:

und hier der zweite Teil:


Hier noch ein Loblied, als weiterer Trost:





 Hier ein Ausschnitt aus "Musik zur Ehre Gottes" aus https://www.erf.de/lesen/themen/glaube/musik-zur-ehre-gottes/2803-542-6656 (2.9.22) Hier wird über den Stellenwert der Musikqualität in der Kirche nachgedacht. Man sieht, die Frage ist so aktuell wie vor 500 Jahren. Hier der Ausschnitt:

"Eine reine Frage der Qualität?

Ich folge der Auffassung von Timothy Keller: Je größer eine Gemeinde ist, desto mehr Planung muss in Veranstaltungen investiert werden. Die Erwartungshaltung an höhere Qualität steigt mit der Größe der Gemeinde. Veranstaltungen können nicht einfach so zusammengeschustert werden, denn auch die ästhetische Messlatte wird höher gesteckt, je größer eine Gemeinde ist. Timothy Keller schreibt:

In kleineren Gemeinden basiert das Erleben der Anbetung vor allem auf den horizontalen Beziehungen unter denjenigen, die teilnehmen. Musikalische Darbietungen von ungeübten und nicht besonders talentierten Sängern werden nichtsdestotrotz geschätzt, weil „wir sie alle kennen“ und sie Mitglieder der Gemeinschaft sind.3 – Timothy Keller


Auch spielt die Qualität in „geschlossenen Kreisen“ eine nicht so große Rolle wie in evangelistisch offenen Kreisen. Das ist besonders bei Gemeinde-Neugründungen zu berücksichtigen. Gravierende musikalische Mängel sind unter Freunden akzeptabel, für Gäste, die in keiner Beziehung zu den Musikern stehen, allerdings maximal tolerierbar. Gekünstelte Professionalität ist aber ebenso falsch wie chronisch gewollte Unprofessionalität. Der Gottesdienst ist kein Konzert und muss nicht unbedingt dem kulturellen Angebot Konkurrenz machen.

Mein persönlicher Wunsch ist, dass wir die Frage der Musik in unseren Gemeinden nicht in erster Linie zur Geschmacksfrage machen. Es geht über Qualitätsfragen noch hinaus: C.S. Lewis antwortete in einem Buch auf die Frage, ob ein Christ Mitglied einer christlichen Gemeinde werden sollte, wie folgt:

Ich kam mit anderen Leuten zusammen, die ganz andere Ansichten und eine ganz andere Erziehung hatten, und nach und nach begann meine Einbildung einfach abzublättern. Ich merkte, dass der alte Mann mit den ausgetretenen Schuhen in der Kirchenbank gegenüber diese Lieder (und sie waren wirklich nur sechstklassige Musik) mit echter Hingabe und geistlichem Gewinn sang – und dann erkennt man mit einem Mal, dass man es nicht wert ist, seine Schuhe zu putzen. Da vergeht einem die Überheblichkeit, die sich in der Abgeschiedenheit eingenistet hat.4 – C.S. Lewis

 

Mir ist bewusst, dass die musikalischen Möglichkeiten in jeder Gemeinde unterschiedlich sind. Jedoch möchte ich aus meiner Musiker-Perspektive auch betonen, dass es immer wünschenswert ist, unsere Musik so schön wie möglich erklingen zu lassen, da sie zur Ehre Gottes gespielt wird. Es ist die primäre Aufgabe der Musiker in der Gemeinde, den Text des Liedes – und damit die intendierte Botschaft – zunächst zu begreifen und zu verstehen. ..."

 


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