Dieses Buch habe ich schon vor vielen Jahren gelesen, als ich noch ein Teenager war. Ich verschlang es nur so.
Hier wird die Geschichte von Westeuropa von den Römern bis in die Moderne anhand der politischen, kunstgeschichtlichen, philosophischen und religiösen Geschichte erzählt.
Der Autor, Francis Schaeffer hat dieses Buch auch in mehreren Dokumentarfilmen verfilmt.
Francis Schaeffer lebte als US-Bürger lange Zeit in der Schweiz, wo er das "L'Abri" gegründet hatte. Eine Zeitung bezeichnete ihn als einen "intellektuellen Missionar". Erst in den letzten drei Jahren merkte ich, dass er einen altbewehrten reformierten theologischen Hintergrund hat.
Auf Bildern wirkt er eher wie ein Freigeist - und seine Gedanken sind auch tatsächlich befreiend.
Leider ist die deutsche Ausgabe vergriffen. Dafür wurde eine englische Ausgabe (s. nebenan) zum 50. Jährigen Bestehen des L'Abri herausgegeben.
"Bucer war einer der ausgeglichensten und nachsichtigsten Reformatoren und hatte den grössten persönlichen Einfluss auf Calvins versöhnliche Einstellung zu kirchlichen Angelegenheiten in Genf und zu den Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Das Prinzip, dass Rechte und Macht der Regierung begrenzt sind, wurde durch das Verfassungsmodell, auf dem die presbyterianscshe (reformierte) Kirchenordnung beruht, demonstriert. In Ländern wie England, wo der Presbyterianismus keine so grosse Rolle spielte, wurden seine politischen Ideen durch komplexe Gruppen verkörpert, die das puritanische Element in England bildeten und eine bedeutende Rolle in der Begrenzung der Macht der englischen Könige spielten. Ergebnis: Der gewöhnliche Bürger entdeckte eine Freiheit von willkürlicher Regierungsmacht zu einer Zeit, als in anderen Ländern die Entwicklung zu absolutistischen Herrschaftsformen die persönliche Freiheit beeinträchtigte.
Die ausdrückliche Lehre der Bibel, dass alle Menschen - auch Monarchen - dem Gesetz Gottes gegenüber verantworltich sind, wurde in den Ländern in die Praxis umgesetzt, in denen die Lehre der Reformation, dass die Bibel die einzige, endgültige Autorität sei, Wurzel geschlagen hatte. Anderswo war es für die zentralisierenden Monarchen vom politischen Standpunkt aus gesehen nur natürlich, die Hilfe der hierarchischen römisch-katholischen Kirche zur Kontrolle politischer (und nicht nur religiöser) Andersgläubigkeit in Anspruch zu nehmen. In England wurde die Drohung des Absolutismus abgewehrt. Hier gab es ein Land, in dem Menschen immer mehr ohne Furcht vor willkürlicher Rache leben konnten.
Vieles Gute in England kam aus Schottland." (Seite 104)
Er beschreibt dann Samuel Rutherford (1600 - 1661) und sein Buch "Lex Rex", d.h. das Gesetz ist König. Dass das eben beschriebene Prinzip verdeutlicht: Freiheit ohne Chaos. Es gab zwei Quellen, wie sich dieser Einfluss im angelsächsischen Raum ausdehnten (England, USA usw.): John Witherspoon (1723 - 1794) ein Presbyterianer (= Reformierter) und John Locke (1632-1704). John Lock sekularisierte diese Ideen: unveräusserliche Rechte, Regierung durch Zustimmung, Gewaltentrennung und das Recht auf Revolution.
Meine Gedanken hierzu:
Auf die Frage, ob eine Revolution gegen einen ungerechten Herrscher berechtigt ist, konnte Johannes Calvin noch nicht so klar beantworten. In seinem Römerkommentar gibt er nur Paulus wieder, der prinzipiell die Unterordnung vor der Obrigkeit, also der Staatsgewalt verlangt. In der Instituio auf der letzten Seite wiederholt er diese Meinung, fügt dann aber dazu, dass jene Herren, die den König kontrollieren sollen, nicht "durch die Finger schauen sollen": "Wo das also so ist, da verbiete ich diesen Männern nicht etwas, der wilden Ungebundenheit der Könige pflichtgemäss entgegenzutreten, nein, ich behaupte geradezu: Wenn sie Königen, die masslos wüten und das niedrige Volk quälen, durch die Finger sehen, so ist solch ihr absichtliches übersehen immerhin nicht frei von schändlicher Treulosigkeit; denn sie verraten ja in schnödem Betrug die Freiheit des Volkes, zu deren Hütern sie, wie sie wohl wissen, durch Gottes Anordnung eingesetzt sind!" (Insitutio IV, 20, 31)
Zudem geht Calvin unter Institutio IV,20,32 darauf ein, dass "Der Herr also ist der König der Könige, und wo er seinen heiligen Mund aufgetan hat, da muss er allein vor allen und überalle gehört werden; dann sind wir auch den Menschen unterstellt, die uns vorgesetzt sind, aber allein in ihm. Wenn sie etwas gegen ihn befehlen, so ist dem kein Raum zu gönnen und zählt es nicht."
Calvin beschreibt hier die Beschränkung jeder Staatsgewalt:
Ein absoluter Staat verlangt einen Gehorsam der nur Gott alleine zusteht. Wenn
nun in einer Gesellschaft Gott vergessen wird, neigt der Staat in diese Lücke
treten zu wollen oder glaubt zu müssen, denn wer sollte sonst die Normen
bestimmen? Daher haben Christen in der Vergangenheit und aktuell, immer mit
einem Absoluten Staat Probleme. Sie wollen sich fügen, können aber die
Machtüberschreitung des Staates, den Machtmissbrauch des Staates nicht folgen.
Denn auch der Staat, wird anhand der absoluten Gerechtigkeit gemessen und er
darf diese Gerechtigkeit nicht brechen. So finden wir in allen Zeiten Gläubige,
die im Konflikt mit den Machtausübenden standen: Chrysostomos, der grösste
Prediger seiner Zeit und Prediger-Vorbild für Zwingli wurde von Konstantinopel verbannt
(4./5. Jahrhundert n. Chr.). Oder all jene Propheten in der Bibel, bis hin zu
Johannes dem Täufer, der geköpft worden ist.
Dennoch konnte Calvin auf die Frage der Richtigkeit einer Revolution gegen einen ungerechten Herrscher kein Ja aussprechen. Auch in der Institutio IV,20,30 sagt er: "Denn wenn auch die Züchtigung einer zügellosen Herrschafft Gottes Rache ist, so sollen wir deshalb doch nicht gleich meinen, solche göttliche Rache sei uns aufgetragen - denn wir haben keine andere Weisung, als zu gehorchen und zu leiden." Manchmal ist ein ungerechter Herrscher besser, als das zügellose Treiben der Anarchie. Und wieviele Revolutionen haben nicht mehr Leid als Besserung gebracht?
Wie auch immer wir diese Frage beantworten, eines dürfen wir dabei nie ausser Acht lassen: Eine Revolution bringt bestenfalls Helden hervor aber niemals Heilige! Eine Revolution beinhaltet wie jeder andere Krieg ein Akt des Egoismus. Dieser Egoismus mag berechtigt erscheinen, aber der Gegner kann durchaus ebenso berechtigte Argumente haben, auch wenn wir sie nicht akzeptieren können. Was meine ich damit? Wenn ich einen Einbrecher am Raub in meinem Haus hindere, dann ist dies heldenhaft. Wenn ich nun hingehen würde und mich als Heliger oder Märtyrer bezeichnen würde, dann wäre dies eine schreckliche Ueberhöhung meiner eigentlichen Motive. Es wäre Heuchelei. Wer mit einer solchen Haltung Kriege führt, führt die Schlimmsten aller Kriege. Ein vernünftiger Friedensschluss wird kaum möglich sein.
Ein Heiliger, zumindest nach jüdisch-christlichem Verständnis ist jemand, der für seinen Glauben hinsteht, auch wenn er Leiden muss. Jesus musste bei seiner Gefangennahme im Garten Gezemaneh dem Tempeldiener das von Petrus abgeschlagene Ohr wieder heilen. Paulus glaubte er könne Gott dienen, wenn er die Gefangennahme von Jesus mit Gewalt verhindern würde. Jesus lehrte ihm, dass er von ihm viel mehr verlangte. Schlussendlich, nachdem Petrus dreimal versagt hat, holte Jesus ihn zurück. Nach einer Wartezeit auf den Heiligen Geist begann er mit Predigen: Bei der ersten Predigt bekehrten sich 3000 Männer. Später starb er in Rom an einem Kreuz - er war ein christlicher Märtyrer geworden, d.h. ein Blutzeuge, der viele Menschen leben geschenkt hat und sein eigenes Leben für die Wahrheit opferte. Dabei wandte er keine Gewalt an. Er nahm niemanden das Leben: Er gab nur das Leben von Jesus weiter.
Ich hoffe, ich konnte den Unterschied von Held und Heiliger beschreiben. In diesem Sinne sind die Kreuzzüge des Mittelalters schreckliche christliche Entartungen: Sie vermischten diesen Begriff zwischen Held und Heiliger und führten zu diesen schrecklichen Kriegen, die zu Recht dem Christentum vorgeworfen werden, weil sie ihren eigenen christlichen Prinzipien wiedersprechen!!! In anderen Religionen mag dies akzeptierbar sein. Im biblisch fundierten Christentum ist es inakzeptabel, weil Jesu Reich nicht von dieser Welt ist.
Hier ein weiterer Auszug aus der Zeit der Reformation:
"Die Predigt des Evangeliums durch die Reformation führte zu einem reichen Kulturschaffen und zu einer wahren Grundlage für Form und Freiheit in Gesellschaft und Regierung - Dinge, die zwar zur zentralen Aussage des Evangeliums nur sekundär gehören, aber trotzdem bedeutend sind. Daraus ergibt sich eine wichtige Schlussfolgerung: nämlich, dass 51 Prozent der Wählerstimmen nie zum moralischen Massstab für solch eine Regierung werden können, denn die absoluten Massstäbe der Bibel sind ja der Gesellschaft als Richtschnur gegeben. Der "kleine Mann", der Privatbürger, kann zu jeder Zeit aufstehen und auf der Grundlage biblischer Lehre erklären, dass die Mehrheit im Unrecht ist. In dem Ausmass, in dem die biblische Lehre praktiziert wird, kann man den Despotismus der Mehrheit oder einer Person oder Gruppe verhindern.
Die Reformation in Nordeuropa trug auch zur "gemischten" Verfassung bei, in der eine Kontrolle in der Regierung für politisches Gleichgewicht sorgt. Dieser Gedanke war im 16. Jahrhundert natürlich nicht neu. Der Gedanke der gemischten Verfassung war die Grundlage von manchen politischen Denken im Mittelalter, wie wir bereits gesehen haben, und eine besondere Form der gemischten Verfassung bildete den Kern des sogenannten "polybischen Republikanismus", der angeblich die besten Elemente von griechischer und römischer Herrschaftsordnung vereinte." (Seite 107)
Leider förderte der polybische Republikanismus, zu dem auch Niccolò Machiavelli (1469 - 1527) gehörte, zu einer ökonomischen und politischen Elite. Als Machhiavellie die Zerstörung der florentinischen Republik miterleben musste, schrieb er sein Buch "Der Fürst", wo er starke autokratische Regierungen empfahl" weil seiner Meinung nach nur das diktatorische Regime des "idealen" Fürsten im Kreislauf einen Fortschritt bringen konnte, nur durch Rücksichtslosigkeit konnten die Zyklen verbessert werden." (Seite 107)
Wir wissen, wohin diese Ideen führten: u.a. zu Benito Mussolini (1883-1945).
Die Reformation begriff schon damals, dass jeder Mensch ein Sünder ist und dass zuviel Macht zu Machtmissbrauch führt. Eigentlich hat jeder Machbereich eine von Gott gegebene Machtgrenze. Diese zu überschreiten, ist immer Machtmissbrauch.
Wie bereits zitiert, hat schon Calvin eine Machtkontrolle vorausgesetzt. Und dieses Vorgehen, war laut Schaeffer schon im Mittelalter bekannt. "Aus diesem Grund hatte Calvin selbst in Genf nicht die Autorität, die ihm häufig nachgesagt wird. Wie wir gesehen haben, war Calvin in Bezug auf diese Dinge sehr von Bucers Denken beeinflusst worden. Im Gegensatz zu einer formalen oder institutionell gesicherten Autorität war Calvins Einfluss moralisch und nicht formal." (Seite 107)
Schaeffer vergisst auch nicht, Fehler aus der Reformation zu erwähnen:
"Selbst als die Reformation einen grösseren Einfluss auf das allgemeine Denken hatte als heute, gab es ganz klar Schwächen, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer mehr herausbildeten. An einigen Punkten stimmten die Leute, die im Hauptstrom der Reformation standen, mit der biblischen Lehre, zu der sie sich bekannten, nicht überein. Es gab viele Bereiche, in denen sie der Bibel nicht so folgten, wie es eigentlich hätte sein sollen, und darunter stechen zwei besonders hervor: erstens eine völlig verdrehte Einstellung zur Rassenfrage, und zweitens eine unbarmherzige Verwendung aufgehäuften Reichtums." (Seite 108)
Wobei er auch auf den "Mangel an barmherziger Verwendung aufgehäuften Reichtums, insbesondere nach der industriellen Revolution" eingeht. Auch der Utilitarismus zählt er dazu (Seite 111), obwohl Jeremy Bentham (1748 - 1832), der Vater des Utilitarismus, konkret von der Regierung verlangt hatte, dass diese Eingreifen müssten, um arbeitende Kinder zu schützen und die Wohn- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Der Utilitarismus mit seinem Konzept "das grösstmögliche Glück für die grösstmögliche Anzahl" ist, laut Schaeffer, "leider leicht manipulierbar." (Seite 111)
Letztendlich darf man aber auch nicht vergessen, dass gerade in der grossen Erweckung in Nordamerika und in England und Schottland wichtige Korrekturen (diese waren noch vor der Industriellen Revolution) geschahen. Auch Wilberforce sei hier genannt. Das Prinzip, dass jeder berechtigte Kritik anbringen kann, wenn er sich selber hinterfragen lässt, dass schon Zwingli in Zürich vor 500 Jahren postuliert hatte, lebte. Es ist trotzdem schrecklich, dass es so lange Prozesse dazu gebraucht hatte - und wohl immer wieder gebraucht. Irgendwie ähnelt dies dem alten Israel: Immer wieder mussten Propheten aufstehen und Heuchelei und Götzendienst aufmerksam machen. Da rettet Gott die Menschen, indem sie bei Mose auf eine eherne Schlange schauen musste. Später vergötterten sie genau diese eherne Schlange, anstelle Gott selber anzubeten.
Francis Scheffer redet in diesem Buch natürlich noch über viel anderes. Es gelingt ihm die Zeitepochen zu durchschreiten und ein historischen Denkfluss aufzuzeigen, wie ich es bisher noch kaum gelesen habe. Dabei kann er nicht alle Details beleuchten und dennoch, wenn wir nur schon die oben stehenden Beispiele aus der Reformationszeit betrachten, geht er doch trotzdem in die Tiefe.
Hier ein Beispiel aus moderner Zeit (die für uns "Heutigen" selber wieder in der Vergangenheit liegt:
"Staaten mit einer anderen, zum Beispiel mit einer christlichen Grundlage (oder zumindest mit der Erinnerung an eine solche) können in der Tat höchst inkonsequent und schrecklich handeln; aber wenn ein Staat mit einer materialistischen Grundlage willkürlich handelt und die Würde des Menschen - auf welche Weise auch immer - antastet, dann ist er von seinen grundlegenden Voraussetzungen und Prinzipien her konsequent. Die Annahme des Marxismus-Leninismus ist in der Tat ein Sprung in den Bereich des Nicht-Rationalen. Hier liegt wieder ein solcher Nietzsche-Spielplan vor, bei dem man sich hinsichtlich dessen, was man sehen will, Grenzen setzt. Man lehnt es ab, über diese und andere Grenzen hinauszuschauen, damit das System nicht wie ein Kartenhaus zusammenfällt." (Seite 216)
Seite 217 geht er auch auf den Westen ein:
"... dass die "modernen" moderne Wissenschaft ohne ausreichende Grundlage zu einer soziologischen Wissenschaft werden wird;" Schaeffer denkt bereits in der Mitte des 20. Jahrhundert, dass prinzipiell das Prinzip aus dem Buch "Les Rex" von Samuel Rutherfords nicht mehr eingehalten wird. "Wo dieses System noch funktioniert, geht es grösstenteils auf die Trägheit zurück, mit der die Prinzipien der Vergangenheit fortbestehen. Aber man kann nicht ewig borgen." (Seite 217)
Wenn Schaeffer Recht hatte, leben wir im Westen noch in
einer Freiheit, die Ihre Grundlage dazu vergessen hat.
Und es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann das Gebäude
der Rechtsstaatlichkeit und Freiheit zusammen brechen wird, weil wir das
Fundament der Rechtsstaatlichkeit und Freiheit verloren haben.
2.6.13
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