Freitag, 31. Mai 2013

Wer merkt schon alles, worin er sich verfehlt. (aus Psalm 19,13a Neue Genfer Uebersetzung)



„Wer kann merken, wie oft er fehlt? Verzeihe mir die verborgenen Sünden!“ (Psalm 19,13, Luther-Uebersetzung)

„Verfehlungen!  - wer erkennt sie! Sprich mich los von den verborgenen!“ (Psalm 19,13, Schlachter Uebersetzung aus Genfer Studienbibel zitiert)

In Hebräisch lauter dieser Vers:   שׁגיאות מי־יבין מנסתרות נקני׃

Leider kann ich noch nicht Hebräisch, hier die Interlinear-Uebersetzung:
“Verfehlungen wer (er) wird (kann=) wahrnehmen?  – Von-verborgenen (= unbewussten) sprich mich los!” (Psalm 19,13, aus Band 4 Die 12 kleinen Propheten, Hiob, Psalmen, Rita Maria Steuerer)

Am 28.3.13 war dies der alttestamentliche Vers aus den Losungen 2013 (283. Ausgabe der Losungen).
Dieses Wort hat mich getroffen. Der Psalmist, in diesem Fall König David, wird bewusst, dass ihm Gott noch lange nicht alle Sünden aufgezeigt hat. Gleichzeitig weiss David, dass er  von anderen Menschen, die ihre Sünden ausleben, gefährdet werden kann. Darum bittet er im nächsten Vers:

“Auch vor den Uebermütigen bewahre deinen Knecht, dass sie nicht über mich herrschen; dann werde ich unschuldig sein und frei bleiben von grosser Missetat!” (Psalm 19,14)

Tut mir jemand unrecht, besteht die Gefahr, dass ich selber Unrecht tue. Insbesondere wenn sie dauernde Macht über mich haben. Das ist eine ganz besondere Herausforderung für unser Leben. David macht es einfach und betet darum, dass dies nicht geschehen soll. Wird dürfen also darum bitten, dass sich eine solche Situation ändert – oder wie hier beschrieben, dass sie gar nicht erst eintrifft.

In den Psalmen kommt dies immer wieder vor, dass wie hier vor der Bitte zuerst die eigene Sünde bekannt und von Gott vergeben lassen wird. Dies ist ein wichtiger Grundsatz, um überhaupt die biblischen Begriffe gerecht, gerechtfertigt und gottesfürchtig zu verstehen: Die Gottesfürchtigen sind Menschen, die ihre Sünden von Gott vergeben liessen. Während gottlose Menschen jene sind, die sich ihre Sünden nicht vergeben lassen. David wird  hier sehr bewusst, was für ein Potential an Bösartigkeiten in ihm Steckt, das er sich nicht bewusst ist. In diesem Sinne sind wir Menschen seit dem Sündenfall alle gleich. „… Es ist keiner gerecht, auch nicht einer;“ schreibt Paulus im Römerbrief 3,10. 

Interessant ist, dass mir gerade dieser Woche jemand geschildert hat, er habe einmal an einen Führungskurs für Manager teilgenommen. Da waren führende Geschäftsleute eine ganze Woche in einem schönen Hotel. Jeder machte sich Gedanken über seine Lebensregeln. Danach bildeten sie Gruppen und einigten sich auf gemeinsame Werte. Dabei hat der psychologische Leiter dieses Seminars ihnen einen Spiegel vor gehalten – ohne das er irgendjemanden persönlich angegriffen hätte. 20% der Teilnehmer hielten diesen Spiegel nicht aus. Weinend verliessen sie den Saal und brachen das Seminar ab: Zu hart war die Selbsterkenntnis. Ein anderer Mann ging zu seiner Freundin und machte ihr einen Heiratsantrag, weil er merkte, was ihm wirklich wichtig war.

Mir kam das alles sehr hart vor – besonders weil der Faktor Vergebung fehlte. (s. hierzu Anhang 1)

Prinzipiell erinnert mich dies an die Feststellung von Paulus im Römerbrief:

„Wenn nämlich Heiden (gemeint Nicht-Juden), die das Gesetz nicht haben, doch von Natur aus tun, was das Gesetz verlangt, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz, da sie ja beweisen, dass das Werk des Gesetzes in ihre Herzen geschrieben ist, was auch ihr Gewissen bezeugt, dazu ihre Ueberlegungen, die sich untereinander verklagen oder auch entschuldigen – an dem Tag, da Gott das Verborgene der Menschen richten wird, laut meinem Evangelium, durch Jesus Christus.“ (Römer 2,14-16, Schlachter Uebersetzung) 

Können Menschen, auch Menschen die den Heiligen Geist nicht haben, solche Selbsterkenntnis erlangen? Paulus bejaht das hier. Am Schluss betont er, dass dies sicherlich beim Endgericht stattfinden wird. Ich gehe also davon aus, dass wir nach unserem Leben vor Gott stehen werden und unser eigenes Gewissen wird uns verteidigen oder anklagen. Dabei wird wohl unser Gewissen von menschlichen selbstverliebten Gedanken gereinigt und wir sehen uns so, wie wir wirklich sind. Wenn uns dann unser Gewissen anklagt, können wir uns nirgends mehr verstecken. Darum ist es besser, heute und jetzt schon für unsere Sünden Busse zu tun – auch für jene, die wir gar nicht kennen. Hier auf der Erde können wir erleben, dass uns die Selbsterkenntnis zu Boden drückt und dann das Evangelium, die Frohe Botschaft wieder auf die Beine stellt. Gestorben und Auferstanden.
Das ist Gnade: Ohne unsere Leistung von Gott mit seiner  Vergebung, Rechtfertigung, seiner Adoption als Gottes Kind beschenkt zu werden, weil er, Gott selber die ganze Leistung erbracht hat. Jesus tat dies alles für mich und Dich, weil er Dich selbstlos liebt. Er würde für Dich sterben, um Dir zu helfen. Und er starb, um Dir zu helfen.

Da ist kein Raum mehr für Selbsterlösung. Jesus Christus hat dies alles bereits am Kreuz getan. David, als er diesen Psalm schrieb, wusste vermutlich noch nicht so klar, dass sein Gott sich selber opfern wird, um ihm seine Sünden zu vergeben: Jene Sünden die ihm bewusst sind und jene die ihm nicht bewusst sind. Ich denke aber, der Heilige Geist schenkte ihm doch einzelne Hinweise darauf. Man lese hierzu nur seine Psalmen.

Im Willow Magazin 2/13 wird ein Interview mit einem presbyterianischen Prediger, also einem reformierten Pastor, von der Menlo Park Presbyterian Church in Kalifornien abgedruckt: Herr John Ortberg. Unter anderem deutet er auch auf seine Sündhaftigkeit beim Predigen hin, wenn er sagt:

„Wenn ich predige, habe ich immer ein Vielzahl von Wünschen. Ich möchte Gottes Wort verkündigen, aber natürlich möchte ich auch bei meinen Zuhörern Eindruck machen, damit ich nach der Predigt ein gutes Gefühl habe. Es ist also eine Mischung aus Egoismus gepaart mit dem Wunsch, Gott zu dienen. Diese Mischung wird uns ein Leben lang begleiten.“

Dieser Pastor hat eine sehr gesunde Haltung. Man stelle sich vor, er würde dem selbstverliebten Wahn verfallen, er handle immer unegoistisch. Er sei durch die Gnade Gottes rein und handle nur noch heilig. Dies zeugt jenen unangenehmen Geruch der religiösen Selbstgerechtigkeit, jenes „Frömmele“, wie man im Schweizerdeutschen sagt. Damit möchte ich in keiner Art die Vergebung von Gott schmählern. Ganz und gar nicht. In Christus haben wir alles. Ohne ihn haben wir nichts. Es ist auch hier wieder, der „schon jetzt und noch nicht Aspekt“. In Christus sind wir Heilige. Als Männer und Frauen sind wir Priester Gottes, die einen direkten Zugang zum Heiligtum haben, wo wir unsere Dankopfer und Fürbitteopfer im Gebet bringen. Dennoch sind wir auch noch Sünder. Auch unsere Welt lebt in dieser Zwischenzeit, wie es ein neueres Lied so schön sagt: Gottes Reich ist mit dem ersten Kommen von Jesus angebrochen, in geistlicher Weise. Gleichzeitig ist das Alte noch nicht vergangen. Immer noch sterben wir. Immer noch gibt es Hass und Krieg. Aber in Christus ist dies alles überwunden. 

Luther sagte es so: Simul iustus et peccator! Auf Deutsch: Zugleich gerecht und Sünder! 

John Ortberg geht in seinem Interview vor allem auf unsere Emotionen ein. Obwohl die Zeitschrift andeutet, dass es hier verschiedene Meinungen gibt, kann ich Ortberg völlig zustimmen: Gott hat uns mit Emotionen geschaffen. Vor dem Sündenfall waren sie gut. Seit dem Sündenfall besteht, wie für alles andere die Gefahr, dass sie pervertiert werden. Die Perversion dieser Emotionen lässt viele Christen vor ihr zurückschrecken. Dabei bedeutet der lateinische Begriff motio Bewegung. Dies bedeutet, dass uns Emotionen in Bewegung setzten. Denn Emotionen sind eine Art Sehnsucht.  Am Schluss bringt er ein Bild dazu aus dem Buch „Die Grosse Scheidung“ von C.S. Lewis (Das Buch habe ich auf diesem Blog ebenfalls kurz beschrieben). Ich zierte hierzu Ortberg:

„Die Frage, die ihm so zu schaffen macht, lautet also: „‘Werde ich diese verzerrte Sehnsucht aufgeben oder nicht?‘ Aus purer Verzweiflung und Ekel vor sich selbst sagt er schliesslich: „Also gut, töte sie!“ Der Engel tut es, die gespensterhafte Person und die Eidechse stürzen zu Boden (= Eidechse Symbol der Sehnsüchte, die die Person verführt haben). Es scheint alles zu ende. Aber dann wird der Mann zum Leben erweckt, und die Eidechse wird nicht nur ebenfalls wieder lebendig, sondern in einen wunderschönen Hengst verwandelt. Der Mann schwingt sich auf den Hengst und beide reiten ins Leben hinein.
Die Moral von der Geschichte: Für die Sehnsucht ist der Himmel verschlossen. Wird sie aber Gott ganz hingelegt und durch Busse zerbrochen, wird etwas so wunderbares und Erhabenes daraus, wie wir es uns heute kaum vorstellen können.“ (Soweit John Ortberg, Pastor der Menlo Park Presbyterian Church in Kalifornien. Am 6. – 8.2.2014 wird er in Leipzig am Leitungskongress sprechen.)

Dieser Zerrbruch erinnert mich an folgende Aussage von John Bunyan:
„Bevor wir versucht werden, glauben auch wir, dass wir über das Wasser laufen können, doch wenn der Wind anfängt zu wehen, dann merken wir, dass wir sinken …Doch sollte es uns nicht zum Guten dienen? Ohne das Wirken der Hand Gottes in unserem Leben können wir nicht leben. Wir würden mit Fleisch überwuchert sein, wenn wir nicht durch manche Winter gehen müssten.“ (Zitiert von John Piper in seinem Büchlein : Standhaft im Leiden, Seite 20).
Dieses Buch ist übrigens sehr zum Lesen zu empfehlen. Ich habe erst Ausschnitte davon gelesen, ebenso meine Frau. Aber sie hat schon eine ganz neue Sicht zum Thema Leid dadurch erhalten.

Zum Abschluss noch Frage 6 aus dem Heidelberger Katechismus (Diese könnte in diesem Zusammenhang auftauchen. In Klammern sind der biblische Bezug zur Antwort gegeben.):
Hat denn Gott den Menschen so böse und verkehrt erschaffen?
Nein.                                                             (1. Mose 1,31)
Gott hat den Menschen gut
und nach seinem Ebenbild erschaffen,
das bedeutet:                                                 (1. Mose 1,26.27)
wahrhaft gerecht und heilig,
damit er Gott, seinen Schöpfer,
recht erkenne,
von Herzen liebe                                           (2. Kor, 3,18)
und in ewiger Seligkeit mit ihm lebe,          (Kol 3,10)
ihn zu loben und zu preisen.                         (Eph 4,24)

Die nächste Frage behandelt die Frage, warum dieser Zustand nicht mehr so ist.
Wenn wir Gott darum bitten, wird er uns den Heiligen Geist schenken, der uns das richtig erklärt. Dann werden wir die Zusammenhänge in der Bibel richtig verstehen. Johannes Calvin schreibt zu Beginn seiner Institutio dass die Selbsterkenntnis und die Gotteserkenntnis sich gegenseitig fördern. Er weiss nicht, was zuerst ist. Aber die Gotteserkenntnis macht uns Gottes Heiligkeit bewusst. Je mehr wie diese Erkennen, werden wir über unsere Mankos bewusst: Selbsterkenntnis. Diese Selbsterkenntnis macht uns bewusst, wieviel grösser noch die Barmherzigkeit und Liebe Gottes zu uns sein muss, dass er uns so grundlos liebt: Das ist wieder Gotteserkenntnis.
Dies fördert unsere liebevolle Beziehung zu Gott. Darum kann Calvin in Insitutio I,5,3 sagen:
„Und es wird sich niemand Gott aus freien Stücken und willig in Gehorsam unterwerfen, der nicht seine väterliche Liebe geschmeckt hat und dadurch gereizt wurde, ihn zu lieben und ihm zu dienen.“
Jesus Christus sagte es so:
„Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern Ewiges Leben hat.“ (Johannes 3,16)



Anhang 1:
Ich war ganz erstaunt, dass alleine die Selbsterkenntnis noch nicht zum Heil führt. Judas zum Beispiel wurde nach seinem Verrat an Jesus, sehr bewusst, was er falsch getan hatte. Er selber konnte damit nicht fertig werden. Daher erhängte er sich. Das bedeutet, die Selbsterkenntnis kann uns tief herabziehen. Darum weichen wir ihr für gewöhnlich auch aus. Es ist eine Art Selbstschutz. Wir suchen andere Gründe, um uns zu entschuldigen. Eine Taktik ist es, die eigene Verantwortung auf andere abzuwälzen. Dies geschieht nicht nur in zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern auch in der hohen Politik. Es gibt Länder, die verbieten über die Verbrechen ihrer Vergangenheit öffentlich zu diskutieren. Die vergangene DDR behauptete, dass sie nichts mit den Nazi-Verbrechen zu tun gehabt hätten, während die BRD Verantwortung übernahm. Ich bin überzeugt, dass konnte die BRD nur, weil wieder christliche Werte sie dazu befähigten: Sündenerkenntnis UND Vergebung.
Ein berühmter Deutscher sagte es so:
„Mir ist es bisher wegen angeborener Bosheit und Schwachheit unmöglich gewesen, den Forderungen Gottes zu genügen.
Wenn ich nicht glauben darf, dass Gott mir um Christi willen dies täglich beweinte Zurückbleiben vergebe,
so ist’s aus mit mir.
Ich muss verzweifeln.

Aber das lass ich bleiben. Wie Judas an den Baum mich hängen, das tu ich nicht.
Ich hänge mich an den Hals oder Fuss Christi wie die Sünderin.
Ob ich auch noch schlechter bin als diese,
ich halte meinen Herrn fest.

Dann spricht er zum Vater:
Dies Anhängsel muss auch durch.
Es hat zwar nichts gehalten und alle diene Gebote übertreten,
Vater,
aber er hängt sich an mich.
Was will’s. Ich starb auch für ihn. Lass ihn durchschlüpfen.

Das soll mein Glaube sein!*
Martin Luther



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen