Mittwoch, 12. März 2014

Wahrheit



Wahrheit

12.3.14 Wir haben schon Frühling!!!
Ich habe eine interessante Aussage in einer Predigt gehört. Die Pfarrerin war der Meinung, dass es keine Wahrheit gebe. Es gäbe nur kleine persönliche Wahrheiten. Sie selber sei gegen Wahrheiten, die ausgrenzen.

Für mich war dies eine ganz neue Sicht der Wahrheit: Kann Wahrheit ausgrenzen? Bis jetzt habe ich Wahrheit und die Aneignung von Wissen als etwas beglückendes und befreiendes erlebt. Jesus denkt, wenn er von Wahrheit spricht, wohl ähnlich wie ich es empfinde, wenn er sagt: „Die Wahrheit wird Euch frei machen!“.

Wenn jemand aber die Wahrheit als einengend erlebt und sich dadurch dagegen wehrt und sie ablehnt, dann postuliert er zur gleichen Zeit, dass es für ihn wahr ist, dass es keine einengende und ausgrenzende Wahrheit geben darf. Vermutlich ist jener Pfarrerin nicht aufgefallen, dass sie mit dieser Aussage gerade das tut, was sie verhindern möchte: Sie grenzt andere aus, die ein anderes Wahrheitsverständnis als sie haben.

Gerade durch ihr Verständnis von einer Wahrheit, die ausgrenzt und ihr entschiedenes eintreten für eine relativierte Sicht von Wahrheit, definiert sie eine für sie wahre Wahrheit, die sehr absolut ist: Zudem ist es eine absolute Wahrheit, die alle anderen ausgrenzt: Denn es darf keine Wahrheit geben, die ausgrenzt.

Im ersten Moment scheint es eine gute Lösung zu sein, um dem lieben Frieden willen, die Wahrheit zu relativieren. Denn damit scheint in einer pluralistischen Gesellschaft das friedlich zusammenleben garantiert zu werden. Wenn wir aber den Kitt für unsere Gesellschaft auf die Relativierung der Wahrheit begründen, dann wird diese Ueberzeugung zu einer Ideologie überhöht, die uns in ihre Doktrin gefangen nimmt. Jeder, der eine andere Doktrin, ein anderes Wahrheitsverständnis mit vollem ernst vertritt, wird so zum Friedensfeind, ja zum Feind der Einheit der Gesellschaft.

Dieser Doktrin müsste man dann logischerweise auch die Glaubens- und Meinungsfreiheit opfern.

Gibt es nicht auch eine andere Lösung? Eine, wo man immer noch frei denken darf? Oder noch extremer gefragt: Gibt es Freiheit und Ordnung? Freiheit und friedliches Miteinander?
Diese Frage bekommt noch mehr Relevanz, wenn man bedenkt, dass die Welt – und sogar unsere kleine Schweiz immer pluralistischer wird. Wohin wird sich alles bewegen? Vermutlich bewegte dies auch diese Pfarrerin.
Jetzt schon Schlüsselblümchen: 13.2.14

Mir scheint es, dass durch diese Entwicklung die Gräben zwischen den Parteien in der Schweiz tiefer geworden sind, als sie auch schon waren. Besonders merkt man dies an den zwei Rändern, die wir mit SP und SVP kennen. In den USA sieht man dies zwischen Demokraten und Republikanern.

Thimoty Keller, ein presbyterianischer Pfarrer (also ein reformierter Pfarrer) beschreibt dies ebenfalls in seinem Buch: „Warum Gott? Vernünftiger Glaube oder Irrlicht der Menschheit?.“ Er empfiehlt den „Sprung in den Glauben“ in seiner eigenen Ueberzeugung zu entdecken, den selbst Skeptiker haben. (1) Und dann wirbt er darum, andere Meinungen, Konfessionen und Ideologien genau zuzuhören. Das erste gibt genügend Demut und das zweite schafft Verständnis.  Auf dieser Basis kann man dann mit Respekt, den anderen kritisieren und hinterfragen. Wörtlich schreibt er Seite 22:

"Das geht dann, wenn jede der Parteien gelernt hat, die Position der anderen in ihrer stärksten und positivsten Form darzustellen. Erst dann verfügt sie über die nötige Gelassenheit und Fairness, sie zu kritisieren. So entsteht eine Atmosphäre der Höflichkeit in einer pluralistischen Gesellschaft, was kein kleiner Erfolg ist."

Ich denke auf diese Weise wird es möglich mit Anstand und Würde die Glaubens- und Meinungsfreiheit in eine pluralistische Gesellschaft zu retten. Sollte uns dies nicht gelingen, sehe ich auch unsere Demokratie gefährdet. Die Republik im alten Rom ging unter, weil sich die verschiedenen Parteien bis zu Mord bekämpften. Noch ist es bei uns nicht soweit. Aber wir sollten hellhörig werden, wenn jemand mit einer anderer Meinung nicht mit Gegen-Argumenten, sondern mit Angriff auf die Person reagiert.

Ich persönlich finde es schon problematisch, wenn nach einer Abstimmungen über konkrete Vorlagen (In der Schweiz darf der Bürger und die Bürgerin – oft mehrmals pro Jahr – über konkrete Verfassungs- und Gesetzesänderungen abstimmen) von Verlieren und Sieger gesprochen wird und wenn man einen Politiker als Sieger seiner Initiative erklärt. Es muss doch immer darum gehen, dass man gemeinsam einen Weg sucht. Und die Abstimmung ist der letzte Schritt der Meinungsfindung des Volkes, den dann die Gesetzgeber ausführen müssen. Es ist für die Qualität einer Demokratie wichtig, dass man die Meinung der anderen mit Argumenten und Respekt angeht. Zudem sind auch Minderheiten durch die Mehrheit zu schützen (wofür wir ja in der Schweiz eine alte Tradition haben).

Vielleicht fragen Sie sich, ob es auch einfacher geht. Dazu könnte folgendes passen:
Letzthin las ich einen guten Beitrag in der NZZ. Da meinte jemand, dass ein schlechter Witz eine wichtiges Ventil sei. Der Witz ist sicherlich auch Ausdruck einer anderer Meinung, die sich durch die Form des Witzes Luft macht. Er meinte, ein schlechter Witz ist immer noch besser, als wenn er sich Luft verschaffen würde, indem er den anderen zusammen schlagen würde. In diesem Sinne ist der schlechte Witz eine zivilisatorische Leistung. Die Gesellschaft könne sich dann noch weiter entwickeln, indem sein Gegenüber den schlechten Witz mit einem besseren Witz kontere.

Das ist jetzt sicherlich eine vereinfachte Problemlösung und kommt dem erst genannten nicht ganz nach. Aber mich dünkt, es ist eine wichtige und praxisnahe erste Variante mit Entwicklungspotenzial. Selbst weniger Einfühlsame und Verständnisvolle werden damit umgehen können. Es scheint sogar eine Veranlagung für Witze zu geben, die besonders in streng reglementierten Meinungs-Kulturen zu unerkannte Blüte reicht.

Was Thimothy Keller vorschlug (s.o.) ist die schwerere Schule. Meine Frau und ich haben gerade dieses Wochenende solches Zuhören (versucht) zu lernen. U.a. mussten man die Aussage eines anderen Wort für Wort wiederholen, bevor man die eigene Meinung sagen durfte. Der „Witz“ daran war, dass man sich bewusst ein Gesprächs-Thema aussuchte, indem man gegensätzlicher Meinung war. Man musste also die Wahrheit des anderen rezitieren.
Nach dieser Uebung, die nicht einfach wahr, meinte jemand, er habe bei seinem Gegenargument das Argument seines „Gegners“ verwendet und dies zuerst nicht einmal gemerkt. Er hörte also, trotz rezitieren der anderer Meinung, nicht wirklich zu, sondern er suchte sich schon seine Gegenargumente, während er zuhörte und rezitierte. Da er zufälligerweise sogar die gleichen Argumente wie von seinem „Gegner“ verwendet hatte, ist bemerkenswert. Sie merkten dann doch noch, dass sie die gleiche Wahrheit erkannt haben, aber sie anders interpretiert haben.

In Basel wird heute die Fasnacht vorbei gehen. Damit wird in der Schweiz, mit wenigen
Marktplatz Basel: 1 h vor dem Cortege
Ausnahmen die Fasnachtszeit vorbei sein. Diese Fasnacht ist unter anderem ebenfalls in diesem Sinne eine Art Witz, ein grosser Witz. Man sagt, dass Kinder und Narren die Wahrheit sagen. Und in der Fasnacht sind alle Narren. (Auf jenen Teil der Fasnacht, der weniger toll ist, gehe ich jetzt nicht ein. Davon weiss ich zu wenig. Auf jedenfall kenne ich einige, die diese Zeit aktiv verbringen – und sie scheinen, diese kameradschaftlich und positiv auszuleben.)
Aber zurück zum Anteil des grossen Witzes in der Fasnacht. Gerade in Basel werden dabei sehr viele Sprüche geklopft. Gewisse Sprüche sind geradezu ein Kunstwerk, natürlich in Basel-Deutsch. Der Kreativität sind gross Freiräume gesetzt. Es darf viel gesagt werden. Gestern zum Beispiel sah ich an der Kinderfastnacht einen kleinen Wagen mit Obama. Darauf stand „verzähl es Gschichtly.“ Also Obama soll eine Geschichte für Kinder erzählen und dann nochmal eine. Oder heute sah ich einen Wagen auf dem die Angst des Verlustes des Mittelstandes thematisiert wurde. 
"Quo Vadis mit dem Mittelstand" steht auf diesem Wagen

Auch dies scheint mir eine Form der freien Meinungsäusserung. Es ist eine sehr alte, die bereits im Mittelalter herrschte. Damals durfte ja sogar der Narr vor dem König die Wahrheit sagen, auch wenn die Wahrheit den König ausgrenzte. – Aber vielleicht machte die Wahrheit den König auch frei zu denken?

12.3.14

Links: Eine Stunde vor dem Cortege am 12..3.14

Anhang
(1) Im ersten Moment klingt hier Keller ähnlich wie diese Pfarrerin. Und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied: Letztere relativiert die Wahrheit, während Keller auf unsere menschliche Begrenzung hinweist, Wahrheit entdecken zu können. Dieser Wahrheitsbegriff entspricht meinem bissherigen Denken, denn sie schafft eine grosse Freiheit  über Wahrheit zu denken und zu sprechen und leugnet gleichzeitig nicht die Existenz von Wahrheit!

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