Wahrheit
12.3.14 Wir haben schon Frühling!!! |
Ich habe eine interessante Aussage in einer Predigt gehört.
Die Pfarrerin war der Meinung, dass es keine Wahrheit gebe. Es gäbe nur kleine
persönliche Wahrheiten. Sie selber sei gegen Wahrheiten, die ausgrenzen.
Für mich war dies eine ganz neue Sicht der Wahrheit: Kann
Wahrheit ausgrenzen? Bis jetzt habe ich Wahrheit und die Aneignung von Wissen
als etwas beglückendes und befreiendes erlebt. Jesus denkt, wenn er von
Wahrheit spricht, wohl ähnlich wie ich es empfinde, wenn er sagt: „Die Wahrheit
wird Euch frei machen!“.
Wenn jemand aber die Wahrheit als einengend erlebt und sich dadurch
dagegen wehrt und sie ablehnt, dann postuliert er zur gleichen Zeit, dass es
für ihn wahr ist, dass es keine einengende und ausgrenzende Wahrheit geben darf.
Vermutlich ist jener Pfarrerin nicht aufgefallen, dass sie mit dieser Aussage
gerade das tut, was sie verhindern möchte: Sie grenzt andere aus, die ein
anderes Wahrheitsverständnis als sie haben.
Gerade durch ihr Verständnis von einer Wahrheit, die
ausgrenzt und ihr entschiedenes eintreten für eine relativierte Sicht von
Wahrheit, definiert sie eine für sie wahre Wahrheit, die sehr absolut ist: Zudem
ist es eine absolute Wahrheit, die alle anderen ausgrenzt: Denn es darf keine Wahrheit
geben, die ausgrenzt.
Im ersten Moment scheint es eine gute Lösung zu sein, um dem
lieben Frieden willen, die Wahrheit zu relativieren. Denn damit scheint in
einer pluralistischen Gesellschaft das friedlich zusammenleben garantiert zu
werden. Wenn wir aber den Kitt für unsere Gesellschaft auf die Relativierung
der Wahrheit begründen, dann wird diese Ueberzeugung zu einer Ideologie
überhöht, die uns in ihre Doktrin gefangen nimmt. Jeder, der eine andere
Doktrin, ein anderes Wahrheitsverständnis mit vollem ernst vertritt, wird so
zum Friedensfeind, ja zum Feind der Einheit der Gesellschaft.
Dieser Doktrin müsste man dann logischerweise auch die
Glaubens- und Meinungsfreiheit opfern.
Gibt es nicht auch eine andere Lösung? Eine, wo man immer
noch frei denken darf? Oder noch extremer gefragt: Gibt es Freiheit und
Ordnung? Freiheit und friedliches Miteinander?
Diese Frage bekommt noch mehr Relevanz, wenn man bedenkt,
dass die Welt – und sogar unsere kleine Schweiz immer pluralistischer wird.
Wohin wird sich alles bewegen? Vermutlich bewegte dies auch diese Pfarrerin.
Jetzt schon Schlüsselblümchen: 13.2.14 |
Mir scheint es, dass durch diese Entwicklung die Gräben
zwischen den Parteien in der Schweiz tiefer geworden sind, als sie auch schon
waren. Besonders merkt man dies an den zwei Rändern, die wir mit SP und SVP
kennen. In den USA sieht man dies zwischen Demokraten und Republikanern.
Thimoty Keller, ein presbyterianischer Pfarrer (also ein
reformierter Pfarrer) beschreibt dies ebenfalls in seinem Buch: „Warum Gott?
Vernünftiger Glaube oder Irrlicht der Menschheit?.“ Er empfiehlt den „Sprung in
den Glauben“ in seiner eigenen Ueberzeugung zu entdecken, den selbst Skeptiker
haben. (1) Und dann wirbt er darum, andere Meinungen, Konfessionen und Ideologien
genau zuzuhören. Das erste gibt genügend Demut und das zweite schafft
Verständnis. Auf dieser Basis kann man
dann mit Respekt, den anderen kritisieren und hinterfragen. Wörtlich schreibt
er Seite 22:
"Das geht dann, wenn jede der Parteien gelernt hat, die Position der anderen in ihrer stärksten und positivsten Form darzustellen. Erst dann verfügt sie über die nötige Gelassenheit und Fairness, sie zu kritisieren. So entsteht eine Atmosphäre der Höflichkeit in einer pluralistischen Gesellschaft, was kein kleiner Erfolg ist."
"Das geht dann, wenn jede der Parteien gelernt hat, die Position der anderen in ihrer stärksten und positivsten Form darzustellen. Erst dann verfügt sie über die nötige Gelassenheit und Fairness, sie zu kritisieren. So entsteht eine Atmosphäre der Höflichkeit in einer pluralistischen Gesellschaft, was kein kleiner Erfolg ist."
Ich denke auf diese Weise wird es möglich mit Anstand und
Würde die Glaubens- und Meinungsfreiheit in eine pluralistische Gesellschaft zu
retten. Sollte uns dies nicht gelingen, sehe ich auch unsere Demokratie
gefährdet. Die Republik im alten Rom ging unter, weil sich die verschiedenen
Parteien bis zu Mord bekämpften. Noch ist es bei uns nicht soweit. Aber wir
sollten hellhörig werden, wenn jemand mit einer anderer Meinung nicht mit Gegen-Argumenten,
sondern mit Angriff auf die Person reagiert.
Ich persönlich finde es schon problematisch, wenn nach einer
Abstimmungen über konkrete Vorlagen (In der Schweiz darf der Bürger und die
Bürgerin – oft mehrmals pro Jahr – über konkrete Verfassungs- und
Gesetzesänderungen abstimmen) von Verlieren und Sieger gesprochen wird und wenn
man einen Politiker als Sieger seiner Initiative erklärt. Es muss doch immer darum
gehen, dass man gemeinsam einen Weg sucht. Und die Abstimmung ist der letzte
Schritt der Meinungsfindung des Volkes, den dann die Gesetzgeber ausführen
müssen. Es ist für die Qualität einer Demokratie wichtig, dass man die Meinung
der anderen mit Argumenten und Respekt angeht. Zudem sind auch Minderheiten
durch die Mehrheit zu schützen (wofür wir ja in der Schweiz eine alte Tradition
haben).
Vielleicht fragen Sie sich, ob es auch einfacher geht. Dazu
könnte folgendes passen:
Letzthin las ich einen guten Beitrag in der NZZ. Da meinte
jemand, dass ein schlechter Witz eine wichtiges Ventil sei. Der Witz ist sicherlich
auch Ausdruck einer anderer Meinung, die sich durch die Form des Witzes Luft
macht. Er meinte, ein schlechter Witz ist immer noch besser, als wenn er sich
Luft verschaffen würde, indem er den anderen zusammen schlagen würde. In diesem
Sinne ist der schlechte Witz eine zivilisatorische Leistung. Die Gesellschaft
könne sich dann noch weiter entwickeln, indem sein Gegenüber den schlechten
Witz mit einem besseren Witz kontere.
Das ist jetzt sicherlich eine vereinfachte Problemlösung und
kommt dem erst genannten nicht ganz nach. Aber mich dünkt, es ist eine wichtige
und praxisnahe erste Variante mit Entwicklungspotenzial. Selbst weniger Einfühlsame
und Verständnisvolle werden damit umgehen können. Es scheint sogar eine
Veranlagung für Witze zu geben, die besonders in streng reglementierten
Meinungs-Kulturen zu unerkannte Blüte reicht.
Was Thimothy Keller
vorschlug (s.o.) ist die schwerere Schule. Meine Frau und ich haben gerade
dieses Wochenende solches Zuhören (versucht) zu lernen. U.a. mussten man die
Aussage eines anderen Wort für Wort wiederholen, bevor man die eigene Meinung
sagen durfte. Der „Witz“ daran war, dass man sich bewusst ein Gesprächs-Thema
aussuchte, indem man gegensätzlicher Meinung war. Man musste also die Wahrheit
des anderen rezitieren.
Nach dieser Uebung, die nicht einfach wahr, meinte jemand,
er habe bei seinem Gegenargument das Argument seines „Gegners“ verwendet und
dies zuerst nicht einmal gemerkt. Er hörte also, trotz rezitieren der anderer
Meinung, nicht wirklich zu, sondern er suchte sich schon seine Gegenargumente,
während er zuhörte und rezitierte. Da er zufälligerweise sogar die gleichen Argumente
wie von seinem „Gegner“ verwendet hatte, ist bemerkenswert. Sie merkten dann
doch noch, dass sie die gleiche Wahrheit erkannt haben, aber sie anders
interpretiert haben.
In Basel wird heute die Fasnacht vorbei gehen. Damit wird in
der Schweiz, mit wenigen
Ausnahmen die Fasnachtszeit vorbei sein. Diese
Fasnacht ist unter anderem ebenfalls in diesem Sinne eine Art Witz, ein grosser
Witz. Man sagt, dass Kinder und Narren die Wahrheit sagen. Und in der Fasnacht
sind alle Narren. (Auf jenen Teil der Fasnacht, der weniger toll ist, gehe ich
jetzt nicht ein. Davon weiss ich zu wenig. Auf jedenfall kenne ich einige, die
diese Zeit aktiv verbringen – und sie scheinen, diese kameradschaftlich und
positiv auszuleben.)
Marktplatz Basel: 1 h vor dem Cortege |
Aber zurück zum Anteil des grossen Witzes in der Fasnacht.
Gerade in Basel werden dabei sehr viele Sprüche geklopft. Gewisse Sprüche sind
geradezu ein Kunstwerk, natürlich in Basel-Deutsch. Der Kreativität sind gross
Freiräume gesetzt. Es darf viel gesagt werden. Gestern zum Beispiel sah ich an
der Kinderfastnacht einen kleinen Wagen mit Obama. Darauf stand „verzähl es
Gschichtly.“ Also Obama soll eine Geschichte für Kinder erzählen und dann
nochmal eine. Oder heute sah ich einen Wagen auf dem die Angst des Verlustes
des Mittelstandes thematisiert wurde.
"Quo Vadis mit dem Mittelstand" steht auf diesem Wagen |
Auch dies scheint mir eine Form der
freien Meinungsäusserung. Es ist eine sehr alte, die bereits im Mittelalter
herrschte. Damals durfte ja sogar der Narr vor dem König die Wahrheit sagen,
auch wenn die Wahrheit den König ausgrenzte. – Aber vielleicht machte die
Wahrheit den König auch frei zu denken?
12.3.14
Links: Eine Stunde vor dem Cortege am 12..3.14
Anhang
(1) Im ersten Moment klingt hier Keller ähnlich wie diese Pfarrerin. Und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied: Letztere relativiert die Wahrheit, während Keller auf unsere menschliche Begrenzung hinweist, Wahrheit entdecken zu können. Dieser Wahrheitsbegriff entspricht meinem bissherigen Denken, denn sie schafft eine grosse Freiheit über Wahrheit zu denken und zu sprechen und leugnet gleichzeitig nicht die Existenz von Wahrheit!
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