Montag, 17. November 2014

Berlin

Mich beeindruckte Berlin sehr.

Gestern kam ich von meinem ersten Besuch aus Berlin zurück. Eine eindrückliche Stadt. Ich war erstaunt, wie persönlich die Berliner sind, gar nicht so, wie man es von einer Grossstadt erwarten würde. Man erlebt wirkliche Begegnungen und man wird als Mensch wahrgenommen. Zeitweise kann die direkte Art erstaunen. Aber ihre frische und ehrliche Art gefiel mir sehr. Obwohl unser Aufenthalt von einer Nebeldecke überhangen war, war es ein schöne Zeit. Ich konnte viel sehen. Einige wenige Museen besuchen und zwei Kirchen besuchen: die Gedächtnis-Kirche und der Berliner Dom.

Ist es Zufall, dass am Brandenburger-Tor nur eine heidnische Göttin thront?
Vor dem Brandenburger-Tor, befindet sich der Pariser Platz. Als wir da waren, demonstrierte gerade Amnasty International für Mexiko. Die Sprechchöre waren für mich etwas sehr emotional und der später redende Mexikaner, mit seiner aufpeitschenden Art indem er überlaut einen (nicht verständlichen) Slogan schrie, erschreckte mich eher, als er auf das berechtigte Anliegen aufmerksam machte. Vielleicht war es auch das Bewusstsein, dass hier an diesem Ort mit solcher Rhetorik einst etwas ganz anderes erreicht werden wollte… Da las ich an einer grossen Wand mit Bildern von den Gräueln. Ganz offen und ehrlich wurde beschrieben, was damals geschehen war. Zum Beispiel: Da wurden einfach polnische Lehrer ins KZ gebracht, nur weil sie Polen waren. Zugleich war es auch gut, nun zu sehen, dass gerade an einem solchen Ort, die Meinung durch diese Demonstranten so geäussert werden konnten. Leider braucht es heute dazu auch ein Aufgebot von Polizisten. Das ist schade. Allerdings war alles friedlich und wir Touristen und die Demonstranten und die Geschichte und das Brandenburger-Tor und die Lämpchen, gaben eine eindrückliche Stimmung. Vermutlich war darum auch meine Frau so fasziniert und ich musste sie beinahe von diesem Ort wegziehen, da wir noch anderes vor hatten – dabei war sie vor gar nicht so langer Zeit noch müde…
Ueberhaupt bin ich erstaunt, wie gut die Deutschen ihre Vergangenheit aufgearbeitet haben: Ich kann Herrn Primor sehr gut verstehen, dass er am Sonntag, dem 16.11.14, am Volkstrauertag im Bundestag die Deutschen dafür lobte: Es gibt wohl kein anderes Land, dass Denkmäler baut, um sich an die Fehler der Vergangenheit zu erinnern.
Auch in der Gedächtniskirche Berlin ist dies so eindrücklich. Eigentlich steht ja nur noch ein Turm mit dem ehemaligen Eingang zur Kirche. Daneben hat man eine neue Kirche gebaut. Da fand ich ein Gebet, dass folgendermassen schliesst:

„Den Hochmut – der uns verleitet auf uns selbst zu vertrauen, nicht auf Gott,
vergib.“

Die einst herrliche Kirche ist nun „nur“ noch ein Mahnmal für den menschlichen Hochmut: Wie schnell war doch Deutschland zu einer Weltmacht geworden. Preussen erstand aus dem Nichts – noch Voltaire fragte sich, wie es möglich war, dass ein Ressourcen armes Land so mächtig sein konnte. Und es ging von der Zeit von Voltaire ja noch weiter hinauf. Der Berliner Dom zeugt davon. (Ich war ehrlich gesagt schockiert, wie ein calvinistisch geprägtes Haus wie die Hohenzollern ein solchen Prunk-Dom bauen konnten. Als einst ein Fürst sich für den Calvinismus entschied, zwang er seine lutherischen Untertanen nicht, ihm zu folgen. So war der Calvinismus in Berlin und Preussen eine Minderheit in einer lutherischen Mehrheit. Das ging ca. 200 Jahr gut, dann vereinigte man Lutheraner und Calvinisten in der Unierten Kirche. Doch die äusserlichen Merkmale des Luthertum scheinen dabei überragt zu haben: Auf jedenfall ist der Berliner Dom so prächtig, dass der Australier Christopher Clark in seinem Buch „Preussen, Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947“ vom „überladenen, neobarocken Grössenwahn des Berliner Doms“ sprach (1) Ich dachte mir, Du musst Verständnis haben, diese für mich römisch-katholisch wirkende Kirche, spielt mit Bildern und Figuren und erzählt etwas. Interessant war dabei ein Mann, der den Berlinern erklärte, wie denn eine calvinistische Kirche aussieht: Ohne Bilder, mit Wänden, die vielleicht einen Bibelspruch haben. Soweit weg war die Bescheidenheit der Reformierten. Doch zugleich erzählen die Bilder auch vom Werdegang des Paulus: u.a. wie er vom hohen Ross geholt wurde.Und zudem erhöht sich das Verständnis für Wilhelm II, wenn man bedenkt, dass er nicht der einzige Herrscher war, der einen grossen Sakralbau errichtet liess. Zudem hat sich Wilhelm II keine Statue in der Kirche errichten lassen. Und der Lift für seine Frau war einfach zweckmässig. Und obwohl ich eher calvinistisch Denke, kann ich im Berliner Dom auch eine Schönheit sehen. Die Andacht, die jeweils um 18:00 Uhr stattfindet habe ich genossen. Das Orgelspiel und das Singen dazu war sehr schön. Auch der geistliche Input der Pfarrerin im schwarzen Talar war gut. Anhand der Wundertaten Gottes, die Gott mit Paulus und Barnabas machte (s. Apostelgeschichte), wollten die Menschen sie als Götter verehren. Paulus, der Redner wollen sie als Zeus erheben. Worauf die zwei Christen ihre Kleider verrissen und darauf hinwiesen, dass sie doch genau wie sie Menschen waren. Sie sollen Gott die Ehre geben und auf Gott vertrauen und ihm die Ehre geben. Die geistliche Wahrheit hinter den Wundern erkennen und sie nicht Menschen zuschreiben.

Noch vor dem 2. Weltkrieg konnte sich niemand vorstellen, zu was für Gräuel das Deutsche Reich fähig war. Es war doch das Land von Luther und Schiller, Goethe und Wissenschaft. Wie war es möglich, in so kurzer Zeit so mächtig zu werden und so zu fallen? Das eben erwähnte Gebet sagt es in aller Kürze:

„Den Hochmut – der uns verleitet auf uns selbst zu vertrauen, nicht auf Gott – vergib.“ Und damit ist es eine Warnung für uns alle – nicht nur die Deutschen. Wenn das Deutsche Reich soweit sinken konnte, dann können wir dies ebenso. Unsere Sündhaftigkeit braucht nur einen scheinbar plausiblen Grund, um sie ausleben zu dürfen – und dann besteht die ernsthafte Gefahr, dass wir es tun. In unserer Leere und unserer Liebesbedürftigkeit steigern wir uns dann in einen Hochmut, der uns blind macht. Einmal den Schritt getan, ist es sehr schwer, umzukehren. Denn dann muss man mit der erkannten Schuld umgehen können. Daher verdrängt man lieber, als das man hinschaut. Gerade darum ist Deutschland so erstaunlich: Sie schauen hin.

Warum können sie dies?

Es ist die Möglichkeit der Vergebung. Jesus Christus ist für meine Schuld, wie auch für die Schuld eines ganzen Volkes gestorben. Was die DDR nicht konnte, und darum sich nicht für das begangene Unrecht verantwortlich fühlte, konnte die BRD. Die DDR musste verdrängen – und war damit von den einstigen Taten gefangen. Damit war ihr Weg offen, ebenfalls Unrecht zu tun. Sie waren ja geübt zu verdrängen und die Wunden mit Wunschvorstellungen und Ideologie zu übertünchen. Es gibt heute auch andere Länder die dies tun… Es gibt sogar Länder, das wird man bestraft, wenn man die Wahrheit sagt, weil man nicht mit dem begangen Unrecht umgehen kann.

Zugleich ist es aber erstaunlich, dass auch in der DDR eine friedliche Revolution möglich wurde. Was hätte da alles geschehen können? Da muss man auch Gott danken und nicht einfach auf unsere Fähigkeiten vertrauen. War nicht alleine dieses Interview mit dem neuen starken Mann der DDR ein Wunder? Er wird nach dem eigentlichen Interview von
Der DDR-Bürger befreite sich: Dank sei Gott!
Journalisten gefragt und nochmals gefragt, bis er verkündet, man könne sofort ausreisen. Völlig verrückt, denn damit wurde der Druck der Ausreise so gross, dass Regierung der DDR entmachtet wurde und sich am Schluss dieses Prozesses die DDR auflöste. Das ist erstaunlich. Wie auch, dass Gott selber unsere Fehler am Kreuz übernommen hat und uns aus reiner Gnade annimmt. Gott tut Wunder. Wir mögen in einer gefallenen Welt mit vielen Problemen leben. Aber jeden Tag lässt Gott einen neuen Tag entstehen und lässt auf Gute und Böse Regen fallen – und am Ende wird er richten. Wir werden das erhalten, auf was wir vertraut haben. Darum lasst uns nicht auf uns, auf mich oder auf einen Götzen vertrauen, sondern auf den allmächtigen und liebevollen, wertschätzenden Gott, der auch morgen noch da ist, wenn alles andere vergangen sein wird! 
Neben der zerbombten Gedächtnis-Kirche wurde diese neue Kirche gebaut: Da steht ein nicht ausreichendes goldenes "Figürchen" für den besten Leiter der Welt, der ein wirklich guter Hirte ist! Der Retter dieser Welt!

Anhang

(1) Seite 644: „Auch in der Architektur und den bildenden Künsten war diese sich vergrössernde Kluft zu beobachten. Nehmen wir zum Beispiel den Kontrast zwischen dem überladenen, neobarocken Grössenwahn des Berliner Doms, der 1905 nach zehn Jahren Bauzeit vollendet wurde, und dem anmutigen, asketischen Protomodernismus der neuen Architekten (unter anderen Alfred Messel, Hans Poelzig und Peter Behrens). Ihre Arbeiten zwischen 1896 und 1912 entsprachen ihrer dezidierten Ablehnung des eklektischen ‚historischen Stils‘, den das offizielle Preussen bevorzuge.“ Es gab also schon damals, auch anderes. Zudem ist interessant, dass der Berliner Dom eigentlich für 20 Millionen Goldmark geplant war. Kaiser Wilhelm II wurden aber nur 10 Millionen Goldmark vom Parlament zugestanden. So legte Wilhelm 2 Millionen aus seinem privaten Besitz dazu. Daher wurde nicht der ganze Innenraum so prächtig, wie bei die Kanzel und das Gewölbe um den Abendmahl-Tisch (der da steht + lutherischer Altar: eben uniert). Für uns war natürlich die etwas einfacheren Wände schöner, als der Prunk, der einfach so viel ist, dass man es gar nicht alles fassen kann.

Interessant ist auch zu bemerken, dass das Parlament die Finanzen nicht generell gewährt hatte. Damit musste sich also selbst der Deutsche Kaiser dem Parlament fügen. Es war also nicht wirklich absolutistisch. Obwohl gerade dies in Charlottenburg zum Ausdruck kam: Da gibt es eine Kirche, dass es mich beinahe überschlagen hätte. Die Kanzel ist verhältnismässig einfach im Gegensatz zur ehemaligen Sitzstätte des Königs von Preussen in dieser Kirche des Schlosses Charlottenburg. Alles symbolisiert die Macht des Königs von Preussen, die er von Gott erhalten habe. Eine riesige goldene Krone prangt über den König, während die Kirchenbesucher sich in Anwesenheit des Königs nicht setzten durften. (Das war für mich alles tief beeindrucken, erschreckend und verwirrend. Wie war es möglich, dass aus einem Protestantischen, ja noch mehr aus einem calvinistischen Leiter so etwas werden konnte? (3))
Wir erinnern uns: Calvin betonte in Genf, dass alle Christen gleich sind: Nur die Funktion ist unterschiedlich und das eigentlich die Gemeinde den „Klerus“ wählt. (Die Gemeinde wählt die Pfarrer, die Diakone, den Aeltstenrat usw. Der Aeltestenrat (Mehrheit nicht Geistliche) kontrolliert die Angestellten und die Gemeindeglieder. Die Gemeindeversammlung kontrolliert den Aeltestenrat und die Angestellten. Warum? Damit kein Machtmissbrauch geschieht. Zugleich schauen alle auf Gott und fragen, was Recht ist. Dabei kommt dem Prediger eine besonders wichtige Funktion zu: Er muss die Wahrheit predigen! Zwingli sprach daher sogar von einem Pfarrer als Propheten, der unter Umständen auch durch seine Predigt Schwierigkeiten in Kauf nehmen muss, wie einst die Propheten.) Zugleich erklärte Calvin, dass es kulturelle Unterschiede gibt
. Und so konnte nicht alles in Genf umgesetzt werden. Aber immerhin musste der Bürgermeister von Genf seinen Stab, der ihn als Bürgermeister auszeichnete, zu Hause lassen, wenn er kirchliche Funktionen ausübte. Hier in dieser Kirche im Schloss Charlottenburg war nichts mehr davon zu sehen. Ganz im Gegenteil: Die Loge des Königs überprangert alles. Und auch der Museumsführer sprach davon, dass es sich um ein absolutistisches Verständnis handle, dass natürlich ein ideologisches Spannungsfeld zum Calvinismus hatte.
Er meinte allerdings auch, dass das Gehabe schon bald beendet wurde. Er dachte, das läge an der Aufklärung. Das wäre interessant, dem genauer nachzugehen. Auch, ob die Hohenzollern im Verlauf ihres Machtzugangs die reformierte Lehre vergassen – oder so modulierten, dass es zu ihrer Machtausübung passte. Zudem müsste man auch den Einfluss des Pietismus analysieren. Mindestens zwei Herrscher förderten diesen, wobei dann der Dritte den Pietismus dann ablehnte. Vermutlich ist die Realität recht komplex. Auf jedenfall, als Preussen in Deutschland aufging, ging alles sehr schnell. Es gab nur 3 Kaiser, wobei diese Drei alle zugleich im Jahr 1888 an der Macht waren, d.h. Wilhelm I starb 1888. Sein Sohn übernahm die Macht und starb im gleichen Jahr, so dass Wilhelm II den Thron besteigen musste. Wäre mehr Zeit gewesen – und hätte Wilhelm II nicht so stark seine Defizite kompensieren müssen, hätte aus dem Deutschen Reich auch eine gut funktionierende Demokratie entstehen können. Aber der gewaltige Erfolg, die Defizitkompensation von Wilhelm II, die sich überschlagenden Ereignisse führten zum 1. Weltkrieg. Und danach wurde nicht wie in der BRD eine gesunde Aufarbeitung vorgenommen, sondern die Not brauchte Lösungen, die ein Demagoge mit einer sozialdarwinistischen Ideologie zu beantworten schien. Dieser war übrigens gar kein Preusse, sondern ein Oesterreicher!
Die BRD aber konnte an ihre christlichen Wurzeln andocken und so die beschämende Vergangenheit aufarbeiten. Selbst im Berliner Dom steht: 

„Setzet Eure Hoffnung ganz auf die Gnade die Euch angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi.“
 Christus ist auch für das gestorben und ermöglicht so einen Neubeginn. Man muss nicht mehr verdrängen und sich von der Vergangenheit gefangen nehmen lassen. Dies  gilt für Deutschland, aber auch für jeden einzelnen von uns.





PS 2: Calvin würde sich wohl im Grabe umdrehen: Er ist mit Melanchton, Luther und Zwingli als Statue im Berliner Dom überhöht. Nicht, dass er es nicht gut mit Melanchton gehabt hätte. Sie waren befreundet. Melanchton, selber Theologe, nannte Calvin oft nur der „Theologe“, weil Calvin ein genialer und prägnanter Theologe war. Nein, Calvin hätte sich daran gestört so verehrt zu werden. Selbst für sein Grab wollte er keinen Grabstein und schon wenige Monate nach seiner Beerdigung fanden auswärtige Besucher sein Grab nicht mehr. Denn alleine Gott gehört die Ehre, und  nicht uns Menschen. Das macht uns frei und glücklich! Dies kann man nur verstehen, wenn man die unverdiente Liebe Gottes erfahren hat. Und das wünsche ich Ihnen. (Dieser Zustand ist natürlich hier erst eine vorübergehende und schwaches Bewusstwerden, dass sich aber in Christus einst erfüllen wird. Und dieses noch schwache Bewusstsein haben wir bitter nötig, damit wir unsere Unzulänglichkeit annehmen können. Ob wir nun Kaiser sind – oder nicht. Das betrifft uns alle! Was da einst Könige und Kaiser taten, hätten wir kaum an ihrer Stelle besser gemacht. Denn unser Herz – also unsere Persönlichkeit – wird erst dann zur Ruhe kommen, wenn es in Jesus Christus seine Bestimmung findet.)


(3) Eine Begründung für die Machtansammlung und die militärisch Ausrichtung der Preussen findet sich sicherlich im 30-Jährigen Krieg. Friedrich Wilhelm, der Grosse Kurfürst war in seiner Jugend in den Niederlanden, wo er Kontakt zu Professoren der Universität leiden hatte. Es war ein Zentrum des neostoisches Staatstheorie. „In den Lektionen wurden die Erhabenheit des Gesetzes, die Ehrwürdigkeit des Staates als Garant der bestehenden Ordnung und die zentrale Bedeutung von Pflicht und Verpflichtung für das Amt des Souveräns  betont. Besonderes Augenmerk richteten die Neostoiker auf die Notwendigkeit, das Militär der Autorität und Aufsicht des Staates unterzuordnen.“ (Seite 62 aus dem bereits zitieren Buch von Herrn Christopher Clark, Preussen  Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947). Im 30-Jährigen Krieg litt Brandenburg schrecklich, da sie kein wirkliches Heer hatten. Und das später unter Schwarzenberg erstellte Heer, war für die Bevölkerung selber eine Belastung und konnte ähnlich schlimm wüten, wie die fremden Heere. Zur Errichtung eines Heeres benötigte man Geld, dass eigentlich von den Ständen, von den örtlichen Mächtigen einverlangt werden musste. Und hier gab es erheblichen Wiederstand, denn sie hatten kein Interesse anstelle eines Heeres unter ihrer Kontrolle für Probleme vor Ort ein stehendes Herr unter Kontrolle des Kurfürsten errichten zu lassen. Warum sollte man auch Geld für entfernte Gebiete des Fürsten sammeln. War der Fürst nicht dafür da, für die Untertanen zu sorgen? Seine Machterweiterung, war seine Privatsache. Doch Friedrich Willhelm setzte sich längerfristig durch. Dabei wurde zum Beispiel in Kleve von einigen Wortführen eine Behandlung des Kurfürsten von Brandenburg wie mit dem englischen König Charles I. in Aussicht gestellt (Seite 82 des Buches von Christopher Clark). Im Klartext bedeutet dies, dass man den Kurfürsten mit der Enthauptung drohte. Die Situation war nicht ganz unähnlich, denn auch im englischen Parlament war man der Meinung, dass keine Steuern erhoben werden konnte, ohne Beschluss des Parlaments. Indem aber in Brandenburg und Preussen eines Generalkriegskommissars eingesetzt (1655)wurde, „Dabei übernahm es nach und nach die Funktion  der ständischen Beamten, die traditionell die Aufsicht über Militärsteuern und –disziplin vor Ort innehatten.“ (Seite 67 des genannten Buches). „Diese Synergieeffekte zwischen Kriegsführung und dem Aufbau von zentralen Staatsorganen waren neu. Sie konnten erst freigesetzt werden, als sich der militärische Apparat von seinen traditionellen provinziell-aristokratischen wurzeln gelöst hatte. Dem Aufbau eines solchen furchteinflössenden militärischen Instruments kam eine grosse Bedeutung zu, denn die Jahrzehnte nach dem Dreissigjährigen Krieg waren im Norden Europas eine Phase heftiger Konflikte.“ (Seite 67).
„Ein weiterer wichtiger Schritt war die Einführung der Akzise, einer Verbrauchssteuer auf Güter und Dienstleistungen, die bereits Ende der 1660er Jahre Schritt für Schritt in den Brandenburgischen Städten eingeführt und später auf Pommern, Magdeburg, Halberstadt und Preussen ausgedehnt wurde.“ (Seite 87)
Die Machtakkumulation des Kurfürsten wurde auch durch die Thronbesteigung des Sohnes von Friedrich Wilhelm, dem Grossen Kurfürsten, König Friedrich I, als König in Preussen sichtbar. Es war damals à la mode. Aus Fürsten wurden Könige. Parlamente wurden zurückgestutzt oder aufgelöst. In Frankreich pries sich Louis XIV als Sonnenkönig: Der Staat, das bin ich.
Allerdings ging es in Preussen nicht ganz so weit (wenn auch Absolutistische Insignien zu sehen waren): Das Recht scheint trotz allem angestrebt worden zu sein, wo auch der König zu unterstellen hatte. Wobei ich nicht sicher bin, ob dies auch für den zweiten König in Preussen gilt, der mit Jacob Paul von Gundlings sehr unehrenhaft umgegangen ist.
Was bei Friedrich Wilhelm, dem Grossen Kurfürsten aber auffällt: Er arbeitete richtig. „Ich werde meine Verantwortung als Fürst in dem Bewusstsein wahrnehmen, dass es sich um die Angelegenheiten des Volkes handelt, nicht um meine eigenen.“ (Zitat von Friedrich, s. Seite 65). „Die ersten Historiographen seiner Regierungszeit etablierten das Bild dieses Kurfürsten als ein Muster der vollkommenen und uneingeschränkten Hingabe an das Amt. Sein Vorbild wurde zu einer einflussreichen Ikone in der Tradition der Hohenzollern, zur Messlatte, an der seine Nachfolger im Amt des Kurfürsten sich entweder massen oder gemessen wurden.“ (Seite 65)
Aus diesem entwickelte sich wohl auch folgende Aussage von Friedrich II (1712- 1786):
„Ich bin der erste Diener meines Staates.“
Das klingt schon etwas anderes, als „L’Etat, c’est moi!“ (Der Staat, dass bin ich!) (Louis XIV)

Allerdings sagt Friedrich der Grosse damit auch, dass es sich um SEINEN Staat handelt und nicht unseren Staat… Aber immerhin sieht er sich als Diener.

Wir erahnen darin schon, wie in Deutschland eine solch starke Hierarchiegläubigkeit sich entwickeln konnte. Dazu passt, dass in Deutschland es die Fürsten waren, die die vorherrschende Religion bestimmten, aber dann auch schützten. Dazu gehörte vorallem das Luthertum und die römisch-katholische Kirche.  Daneben gab es Ausnahmen, wie die Hohenzollern. Gleichzeitig waren die Reformierten oft auf sich selber angewiesen. Aber auch schon Calvin kam immer wieder mal in Streit mit der vorherrschenden Mächtigen in Genf. Einmal vertrieben sie sogar Calvin und holten ihn später wieder zurück. Dadurch entwickelten sich reformiert geprägte Länder weniger hierarchigläubig. Sie waren sich gewohnt, selber die Bibel zu lesen, selber zu denken und auf Gott zu hören, mit Gott ihr Leben zu leben, in der Kirche Verantwortung auch als Leihen zu übernehmen (Aeltester usw.), und je nach Gemeinde auch die Angestellten zu wählen und wenn möglich auch im Staat eine aktive positive Rolle zu spielen. So rette in der Schweiz die Reformation (indirekt wohl auch in den römisch-katholischen Gebieten), die alten Traditionen der Machtteilung und Genossenschaften, während in Deutschland die Machtakkumulation der Mächtigen - zumindest bis zu einem gewissen Grade - zunahm. Allerdings verlief in der Schweiz auch nicht alles geradelinig. So ist der reformierte Kanton Bern wohl lange Zeit sehr hierarchisch gewesen. Es gab wohl keinen König, aber verschiedene sehr mächtige Familien, die in Konkurrenz die Macht teilten: die Patrizier. Aber dies ist wohl letztendlich auch eine Form der Machtteilung. 

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