Die USA sei eine gespaltene Gesellschaft:
Konservativ und Progressiv. Sozial und Asozial. Fortschrittlich und
rückwärtsgewandt. Moralisch und unmoralisch.
Interessant scheint mir, dass dabei von der
einen Seite des Grabens zur anderen die negativen Begriffe geballt auf die
andere Seite geworfen werden. Wenn eine Seite recht hätte, dann wäre der Graben
also ein moralischer Graben: Auf der einen Seite die Guten, die es nur gut
meinen und auf der anderen Seite die Bösen, die es nur böse meinen.
Aber ist das wahr?
Davor müssen wir natürlich noch fragen, ob man
das in einer materialistischen, postmodernen Welt noch fragen kann? Gilt heute
nicht, dass meine Überzeugung die einzige «Wahrheit» oder besser Realität ist,
dem sich alles unterzuordnen hat? Meinen Sie, das führe zu institualisierten
Manipulation? Wenn es keine wirkliche Wahrheit gibt, ist doch das egal. Denn
meine Ziele sind so wichtig, da darf ich manipulieren.
Für Obama ist es leicht in Trump und seinen
Anhängern genau dies Unmoralisches zu sehen, weil Trump tatsächlich einige problematische
Punkte unserer (narzisstischen?) Gesellschaft schön darstellt. Aber ist das nur
Trump? Was wäre wenn Trump Demokrat geblieben wäre und weiterhin für Abtreibung
eingetreten wäre? Und vor allem: Ist Trump der typische konservative? Stellt er
die gesamte Gegnerschaft auf der anderen Seite des Grabens dar?
Um die «andere» Seite fair und grundlegend zu kritisieren,
muss man sie wirklich verstehen. Im Kirchenboten, Februar 2021, äussert sich der
Soziologe Walter Hollstein:
«Wir machen einen Fehler, wenn wir glauben, die
Populisten und ihre Wähler aus der Perspektive unserer linksliberalen Mittelschicht
verstehen zu können.»
Herr Hollstein ist ein Basler. Als ein emeritierter
Soziologieprofessor glaubt er, dass seit dreissig Jahren die Gesellschaft auseinanderdriftet
und dies führe zum Populismus. Die Kluft zwischen arm und reich sei grösser
geworden. Die verschiedenen Bevölkerungsschichten driften mir ihren eigenen
Themen, Problemen, Sprachen oder Erziehungsstilen immer mehr auseinander. Als Linker
glaubt er, dass die Höhe des materiellen Besitzes ebenfalls ein Abgrenzungsmerkmal
sei.
Interessant ist, dass ich genau auch das bei
einem Interview mit Obama gedacht habe: Er versteht die anderen nicht. Konkret
wurde er gefragt, ob er nicht auch zu dieser Spaltung beigetragen habe.
Interessanterweise bejahte dies Obama. Obama glaubte, er hätte als Präsident besser
kommunizieren müssen, um diesen Graben überwinden zu können. Ersteres ist
beachtlich und löst bei mir einen Respekt gegenüber Obama aus: Er steht zu
einem Fehler. Allerdings finde ich seinen Lösungsansatz nicht ideal. Denn
gerade die Kommunikation war nicht seine Schwäche: Er ist ein guter
Kommunikator. Aber wenn er die andere Seite nicht versteht, dann wird er auch nicht
auf sie eingehen können. Er weiss ja gar nicht, wo ihre Probleme sind. Da nützt
die ganze Kommunikationsfähigkeit nichts. Mit Kommunikation verstehe ich übrigens
nicht jene Art von Dialog, wo man sich am Schluss in der Mitte trifft. Sondern
ich meine ein Eingehen in die Gedankenwelt des anderen, ohne dass ich meine
Überzeugungen dafür opfern muss.
Vermutlich kann dies ein konsequenter
postmoderner Relativist nicht. Er glaubt ja nicht, dass es eine Wahrheit gibt.
Vielleicht ist das sogar der Grund, warum einige Leute auch nicht mehr richtig
zuhören wollen: Sie haben Angst, sonst ein Stück auf den anderen zugehen zu
müssen und dabei die eigenen Werte zu verraten. Dies ist die Schwäche von
jemanden, der kein «Fundamentalist» sein will. Doch dies macht ihn geradezu zu
einem extremen und unreflektierten Fundamentalisten! Denn er will seine
Position ja nicht hinterfragen: Weder durch sich selber noch von anderen.
Es würde der Spaltung der Gesellschaft schon
sehr viel helfen, wenn man sich einigen könnte, dass es eine Wahrheit gibt,
aber diese schwer zu erkennen ist. Persönlich glaube ich, dass es nicht nur
unsere beschränkten Fähigkeiten erschweren, die Wahrheit zu erkennen, sondern
auch die Tatsache, dass wir Menschen seit dem Sündenfall dazu neigen, das Gute
zu pervertieren. Wir wollen also manchmal gar nicht die Wahrheit erkennen, weil
wir etwas verbogenes Gutes ausleben wollen. Und das betrifft beide Seiten des
Grabens. Und das macht es schwer.
Wenn wir uns darauf geeinigt haben, dann
könnten wir mal eine Seite genauer beleuchten. Zum Beispiel die «konservative»
Seite. In den USA hat sich ein Teil in Trump etwas «verrennt». Aber ist das die
ganze Welt der Konservativen? Natürlich nicht. Das sehen wir nur schon daran, dass
die Republikaner auch andere Präsidentschaftskanditen gehabt hätten. Die Frage
ist natürlich, warum hat man Trump – demokratisch – gewählt und nicht die
anderen. Aber sehen wir doch mal, was es da für Personen gab: Da wäre die brillante
Wirtschaftsexpertin und ehemalige Konzernchefin von Hewlett-Packard, Carly
Fiorina. Wäre sie gewählt worden, hätten die Republikaner die erste Frau als
Präsidentin der USA gestellt. Die Welt sehe heute vermutlich anders aus und
unter konservativ und christuszentriert würde man etwas ganz anderes verstehen.
Neben ihr finden wir noch einige andere integre Personen unter den
Republikanern. Wobei natürlich jeder Mensch seine Probleme hat, ausser Jesus
Christus, der nicht unter die Sünde verkauft ist. Aber selbst Jesus wurde vom
Teufel versucht! Daher können wir davon ausgehen, dass eine Position wie der
Präsident von Amerika für jeden Menschen eine grosse Herausforderung und
Versuchungen darstellt.
Diese beschriebene Grundlage würde nicht
verhindern, dass wir enorm über die Zukunft und Gestaltung der Gesellschaft
streiten würden. Aber es würde die Qualität des Streites heben.
Ein Beispiel: Dadurch würden wir die
Pressefreiheit wahren, weil wir den ehrlichen und fairen Streit als eine
Möglichkeit der Wahrheitssuche sehen würden. Dann versteht man die Presse nicht
als Meinungsmacher einer Gruppierung oder gar Manipulationsinstrument für Interessensgruppen.
Sie ist dann auch nicht nur Werbung für eine Idee, sondern ehrliche
Auseinandersetzung und manchmal auch einfach nur beschreibend.
Dann würden wir auch merken, dass es zwar einen
Graben in der Gesellschaft zwischen Gut und Böse gibt, aber dieser verläuft
nicht an den Grenzen einer Partei oder Kirche oder Gruppierung, sondern durch
alles hindurch – durch jeden Menschen! – und ist damit viel komplexer.
Das würde uns helfen für unsere Demokratie,
Wirtschaft, Wissenschaft und auch bei banaleren Themen wie Corona oder Gender aufbauender
zu streiten. Ein emotionales Beispiel: Wenn wir uns nur einfach bewusst machen,
dass es meines Wissens in der Geschichte der Menschheit nie eine Ehe zwischen
Gleichgeschlechtlichen gab. Selbst in Gesellschaften in denen Homosexualität
gesellschaftlich anerkannt war, heiratete man nur zwischen Mann und Frau, weil
nur dort Kinder entstehen konnten. Selbst die pädophile Gesellschaft der Spartaner
zwangen die Jungen zu einer Heirat mit einer Frau. Einige hatten solche Angst
vor einer Ehe mit einer Frau, dass sie selbst die drakonischen Strafen auf sich
nahmen. Ihnen half nicht einmal, dass ihre Ehefrauen sich einen männlichen
Haarschnitt für sie zulegten. Wie auch immer: Damit möchte ich nur sagen, dass
die Forderung einer Ehe für alle eine riesige soziale Änderung in der
Menschheitsgeschichte ist. Und wer dafür eintritt, sich dessen auch bewusst
sein sollte und daher zumindest Verständnis haben kann, das dies nicht jeder so
nachvollziehen kann. Der entsprechende Streit ist dann immer noch heftig, aber
er wird dadurch an Qualität gewinnen. Es gibt natürlich auch eine andere Strategie:
Die andere Meinung moralisch zu diffamieren. Den eigenen Standpunkt als den
einzig wahren festzuhalten. Das ist, wie weiter oben erwähnt, «fundamentalistisch».
Da ich wirklich an solche Fundamente glaube, sehe ich einen festen Standpunkt
nicht per se als falsch, denn es gehört auch zu einem guten Charakter. ABER
wenn ich einen solchen Standpunkt habe und dem anderen vorwerfe, er sei
fundamentalistisch und ich sehe meinen eigenen Fundamentalismus nicht, dann ist
das echt problematisch. Ehrlich wäre es, dazu zu stehen: Das ist mein Fundament.
Ich glaube wegen dem und dem, dass das so ist. Du glaubst wegen dem und dem,
dass das anders ist. Und dann kommt man zu einem Punkt, der nicht ideal ist und
manchmal (habe ich schon des Öfteren erlebt), der auch schmerzhaft ist: Man
kann sich nicht einigen. Das kann weh tun. Aber diese Feststellung, dass es so
ist und den anderen leben lässt, ist nicht die schlechteste Option. Sie ist
nicht ideal, aber wir leben auf keiner idealen Welt. Und wenn wir der Versuchung
erliegen, es perfekt machen zu wollen, machen wir ein Gefängnis!
Ich erlebe es immer wieder und dass bei den
verschiedensten Themen, wie man sich nicht einigen kann. Leider gilt das auch
in der Theologie, dass wir zu solch einem Punkt kommen. Sogar bei der
biblischen Prädestinationslehre, die meiner Meinung nach der tiefste Ausdruck
der Gnade und Barmherzigkeit Gottes zu mir als Menschen ist, stelle ich immer
wieder fest, wie ich auch mit anderen Brüdern und Schwestern im Glauben nicht
übereinstimmen kann. Sie sehen es ganz anders. Ich habe den Eindruck, dass sie
oft die biblische Prädestinationslehre nicht verstehen. Sie haben vielmehr eine
humanistische Interpretation, die ich auch ablehne. Zum Teil kommen sogar tiefe
Ängste und Verunsicherungen hervor. Diese Lehre will uns die Heilsgewissheit,
unsere Sicherheit in Christus versichern und erklären und führt mich daher zu
einer tiefen Dankbarkeit und Anbetung Gottes. Aber bei vielen anderen löst es
gerade das Gegenteil aus.
Wie ist das möglich?
Wir sind nicht in einer perfekten Welt. Und ich
sehe oft, dass der eine oder andere ja trotzdem an das Wesentliche glaubt. Und
da bleibt eben nur die Möglichkeit, dass man sich stehen lässt und trotzdem
füreinander da ist. Das gilt natürlich auch für jene, die nicht an das
wesentliche glauben. Gerade die Prädestinationslehre macht uns ja auch klar,
dass es ein Wunder ist, wenn jemand an Christus glauben kann, wie es die Bibel
lehrt. Daher haben wir das nicht in Händen. Und daher können wir hier auch gar
nichts mit menschlichen Mitteln erreichen. Und gerade das schafft auch
Freiheit! Nicht ich muss es in Händen haben, sondern ich darf es Gott
überlassen. Hier liegt ja auch meine Heilsgewissheit: Nicht ich, sondern
Christus verspricht und hält mich! In diesem Sinne konnten schon George
Whitefield und Benjamin Franklin Freunde sein: Der eine als «calvinistischer»
anglikanischer Welt-Evangelist und der andere als Freidenker. George Whitefield
mit seiner grossen Begabung zu predigen wusste, dass das Wesentliche im Glauben
ein Wunder Gottes ist: Der Heilige Geist muss es schenken. Dafür dürfen und
sollen wir beten. Und nebenbei bemerkt: Da wird jeder Christ zu einem Calvinisten,
wenn er für andere betet. Ein konsequenter Arminianer würde das nie machen,
denn er glaubt ja, dass jeder aus eigener Kraft zu Jesus gehen kann. Das
beinhaltet wohl einer der wesentlichen Aspekte des «Calvinismus» oder der
klassischen reformierten Theologie. Hier ist auch ein Punkt, wo sich reformierte
Theologie und Charismatik trifft: Es muss der Geist wirken! Wobei schon Calvin
korrekt festhielt: Gottes Wort, die Bibel ist die Schule des Heiligen Geistes!
Wenn wir so auf Gott und sein Handeln
angewiesen sind, bedeutet dies aber auch, dass man jemand, der sich nicht
bekehren will, weil er nicht vom Heiligen Geist getrieben wird, auch nicht zu
etwas zwingt, was nur der Geist bewirken kann. Hier müssen wir zurücktreten und
Freiheit sein lassen.
Hier sieht man auch die Weisheit zu unterscheiden
zwischen Gesetz und Gnade: Unsere menschlichen Gesetze sind ein Notrecht, damit
wir hier gut leben können. Dies muss der Staat und auch wir als Bürger mit einer
gewissen Konsequenz durchziehen. Aber sie ist nicht perfekt. Aristoteles, der
Thomismus in der römische-katholischen Kirche, der Kommunismus, der deutsche
Idealismus glauben an den perfekten Staat. Dieser Idealismus überbewertet aber
den Staat und unsere menschlichen Möglichkeiten. Schon Zwingli unterschied
zwischen menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit. Das wirklich gute Gesetz
Gottes können wir nicht einhalten. Es treibt uns zu Christus, der uns alles
schenkt. Und wenn Jesus wiederkommt, dann wird er alles vollenden. Wir können
es nicht. Und wenn wir es versuchen, dann passiert eine neue Folge von
Animal Farm von Orwell.
Damit sind wir wieder bei unserem Grundthema:
Bis Jesus wiederkommt ist es nicht so einfach, eine gesunde Linie zu fahren.
Kurzfristige Erfolge müssen nicht die Ideallösung sein. Der Feind ist laut der
Bibel nicht der Mensch, sondern die geistlichen Mächte, die unsichtbar wirken.
Der geistliche Kampfplatz ist in unseren Herzen! Jesus hat schon längstens am
Kreuz gewonnen. Die Frage ist heute nur noch, wollen wir diesen Sieg auch in
unseren Herzen haben oder wursteln wir woanders? Und zugegeben: Die Geschichte
lehrt, dass auch Menschen, die nicht zu Jesus wollen, von guten Gesetzen und gesunden
gesellschaftlichen Klima profitieren. Somit hoffe ich, dass möglichst viele
Jesus Christus erkennen und dass auch wir Christen wirklich in Christus leben
und nicht sonstwo rumwursteln (das gibt es ja auch) und dass wir mit allen
anderen zusammen eine Gesellschaft leben, die zwar unvollkommen ist, aber sich
im Bewusstsein des Unvollkommenes nach Besserem ausrichten. Das klingt sehr
nach Zwingli. Und hat trotz vielen Fehlern in der Vergangenheit manchmal
beinahe paradiesische Zustände erreicht. Eigentlich war vieles viel besser, als
es uns Christus versprochen hat. Aber so ist natürlich Gott: Überschwänglich
Grosszügig.
PS: Ich weiss, viele würden nun all die Fehler der
Vergangenheit anprangern. Das muss man sicherlich. Aber das gehörte ja auch
schon immer dazu: Darum hat die Schweiz bis heute einen eidgenössischen Dank-
und Buss- und Bett-Tag! Neben der Busse gehört auch der Dank für all das Gute,
das wir hatten und haben. Es wäre krankhaft, nicht all das Gute sehen zu
wollen. Und wie soll es besser werden, wenn man nur immer auf das Schlechte
sieht?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen