Freitag, 1. März 2019

Kirche, was ist das? corpus permixtum

Kirche, was ist das?   Corpus permixtum

Dazu Calvin (Inst. IV 1,9)

Denn überall, wo wir wahrnehmen, das Gottes Wort lauter gepredigt und gehört wird und die Sakramente nach der Einsetzung Christi verwaltet werden, lässt sich auf keinerlei Weise daran zweifeln, dass wir eine Kirche Gottes vor uns haben. Denn die Verheissung des Herrn kann nicht trügen:

"Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen." (Matth. 18,20)

Hierzu Melanchthon (ein Freund von Martin Luther) aus dem Augsburger Bekenntnis (= Lutherisch):
"Es wird auch gelehret, dass alle Zeit musse ein heilige christliche Kirche sein und bleiben ,welche ist die Versammlung aller Glaubigen, bei welchem das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangelii gereicht werden."

Ein interessanter Unterschied zwischen Lutheraner und Reformierten: Im Augsburger Bekenntnis fehlt die Reaktion auf das gepredigte: Es steht nichts, vom gehört werden.  Vermutlich wird dies bei den Lutheranern automatisch vorausgesetzt? Oder wirkt gar die Idee mit, dass das reine Predigen und verteilen des Abendmahls und Taufe auch ohne Glauben wirke? Natürlich dachte Luther nicht so. Das  würde dem "allein dem Glauben" widersprechen. Aber Luther mass den "Dingen" mehr zu, was gerade in seiner Abendmahlslehre hervorsticht. Interessanterweise handelte ja gerade der zweite Abendmahlsstreit (nachdem Calvin sich mit Bullinger einigen konnte) um diese Thematik. Für Calvin war das Abendmahl (oder auch die Taufe) nur geistliche Realität, wenn der Gläubige es im Glauben ausübt. Oder noch krasser gesagt: Auch ohne die Sakramente besitzt der Gläubige, was die Sakramente darstellen und auf eine geistliche Weise als Stärkung vermitteln. Wobei Calvin auch von den Sarkamenten als eine Predigt ohne Worte spricht. Damit liegt er zwischen Zwingli und Luther und es scheint mir biblisch sehr gut begründet zu sein. Das Problem für mich ist aber, dass ich Luther nicht wirklich in der Abendmahlslehre verstehe. Daher kann ich es nicht wirklich klar einordnen, geschweige denn sachlich verhältnismässig kritisieren. Aber was bei beiden klar ist:

Allein die Schrift! Die Bibel muss im Mittelpunkt stehen.

Interessant ist nun, dass Calvin aber keinesfalls die Kirche geringschätzt. Ganz im Gegenteil:
"Wer Gott zum Vater hat, der muss auch die Kirche zur Mutter haben." 
sowie
"Denn es gibt für uns keinen anderen Weg ins Leben hinein, als dass sie uns in ihrem Schosse empfängt, uns gebiert, an die Brust nährt und schliesslich  unter ihrer Hut und Leitung in Schutz nimmt ..." (Inst. IV 1,1)

Spricht hier Calvin der römischen Kirche zu, dass nur in der römischen Kirche das Heil zu finden wäre? Sicherlich nicht. Meint er damit, die Kirche als Gebäude? Auch das kann es nicht sein. Wie wir Oben gesehen haben, spricht er von der Kirche (an anderen Orten in seiner Institutio erklärt er auch andere Bedeutungen dieses Begriffes "Kirche") als ein Ort, wo Gottes Wort gepredigt UND gehört wird und die Sakramente (für Calvin gibt es nur 2: Abendmahl und Taufe) nach der Einsetzung von Jesus verwaltet werden.

Daraus folgt, dass Calvin den Begriff katholisch und katholische Kirche in seinem eigentlichen Sinn versteht, was einen wesentlichen Unterschied zur römischen (römisch-katholischen) Auffassung darstellt:

"Deshalb heisst die Kirche 'katholisch' oder 'allgemein' (meine Anmerkung: katholisch bedeutet allgemein); denn man könnte nicht zwei oder drei 'Kirchen' finden, ohne dass damit Christus in Stücke gerissen würde - und das kann doch nicht geschehen! Nein, alle Auserwählten Gottes sind dergestalt in Christus miteinander verbunden, dass sie, wie sie ja an dem einen Haupte hängen, auch gleichsam zu einem  Leibe zusammenwachsen, und sie leben in solcher Gefügtheit zusammen wie die Glieder de gleichen Leibes." (Instiutio IV 1,2)

Dies bedeutet, wer in Christus ist, wer an Christus glaubt, wie die Schrift lehrt, der ist mit den anderen Glaubenden "automatisch" eine Bruderschaft (oder Geschwisterschaft) eingegangen. Denn der Herr ist Christus. Seine Gemeinschaft mit ihm ist unzertrennlich. Mögen auch unsere organisierten Kirchen verschieden sein. 

Da Gottes Wort verkündigen, die Ausbreitung des Reiches Gottes ist, kann Luther sagen:

"Dass das Reich Gottes ... ist nit zu Rom, auch nit an Rom gebunden, weder hie noch da, sondern wo das indwendig der Glaub ist ... Also dass es erlogen und erstunken ist, und Christo als einem Lügener widerstrebt, wer do sagt, dass die Christenheit zu Rom oder an Rom gebunden sei, viel weniger, dass das Häupt und Gewalt da sei aus göttlicher Ordnung ... Die erste Christenheit, die allein ist die wahrheftige Kirch, mag und kann kein Häupt auf Erden haben, und sie mag von niemand auf Erden, weder Bischof noch Bapst,  regiert werden, sondern allein Christus im Himmel ist hier das Häupt und regieret allein ... 
Wie kann ein Mensch regieren, das er nit weiss noch erkennet? Wer aber kann wissen, welcher wahrhaftig gläubt oder nicht? (Luther, WA 6, 92ff.)

Man könnte sagen: Dir sichtbare Kirche ist eine Gemeinschaft von Heuchlern und Gläubigen. Und das wurde auch schon so gesagt: corpus permixtum (auf Latein).

Die Begriffe: Sichtbare Kirche und unsichtbare Kirche versuchen dies auch zu veranschaulichen. Jeder, der Jesus Christus als Haupt hat, wie es die Bibel lehrt, der ist auch ein Teil der unsichtbaren Kirche. Die sichtbare Kirche beinhaltet somit Gläubige, Ungläubige und sogar Heuchler. Eben: Corpus permixtum.

Auch Calvin sieht dies so:

"Aber da das kleine, verachtete Häuflein unter einer unmessbaren Menge verborgen liegt und die wenigen Weizenkörner von einem Haufen von Spreu überdeckt werden, so muss man Gott allein die Erkenntnis seiner Kirche überlassen, deren Fundament ja seine verborgene Erwählung ist ... mach nun auch solche traurige Oede, wie sie uns von allen Seiten entgegentritt, mit lauter Stimme zu bezeugen schienen, es sei von der Kirche nichts mehr übrig, so sollen wir doch wissen, dass Christus Tod seine Frucht trägt und dass Gott seine Kirche auf wundersame Weise gleichsam in dunkler Verborgenheit bewahrt. Es ist, wie es einst zu Elia gesagt wurde: 'Ich habe mir lassen übrigbleiben siebentausend Mann, die nicht ihre Knie gebeugt haben vor Baal" (1. Kön. 18,19). (Inst. IV 1,2)

"Ebenso also, wie es für uns vonnöten ist, jene unsichtbare, allein für Gottes Augen wahrnehmbare Kirche zu glauben, wird es uns auch aufgetragen, diese Kirche, die im Blick auf die Anschauung der Menschen Kirche heisst, hochzuhalten und die Gemeinschaft mit ihr zu pflegen." (Inst. IV 1,7)

"Wir wollen in dieser Welt keine makellose, unbefleckte Kirche suchen, und auch nicht gleich einer Gemeinde den Rücken kehren, wenn sie unseren Wünschen nicht vollkommen entspricht. Es ist eine gefährliche Versuchung, keine Kirche mehr anerkenn zu wollen, ausser wo sich völlige Makellosigkeit findet. Denn wer auch immer dieser MEinung ist, der muss sich notwendig von den anderen absondern und sich allein in dieser Welt für heilig halten oder zusammen mit anderen Heuchlern eine Sekte gründen." (Kommentar zu 2Kor 1,2, 308)

Trotz dieser "Relativität" der sichtbaren Kirche, betont Calvin:
"Die Autorität seiner Kirche legt er (Gott) uns dermassen ans Herz, dass er seine eigene Autorität für verkleinert erachtet, wenn jene verletzt wird!" (Institutio IV 1,10)

Zugleich glaube ich, kann die Kirche ihre Autorität aber erst wirklich ausleben, wenn sie sich ihrer Unfähigkeit aus sich selber bewusst wird. Denn eigentlich ist die Kirche etwas Hässliches. Erst ihr Bräutigam (um mit einem biblischen Bild zu sprechen), macht aus ihr eine schöne Braut.

Erst wenn die Kirche (wie wir im persönlichen Leben) einsehen, dass sie ohne Christus nichts tun kann (in einem geistlichen Sinn für die Ewigkeit Sinnvolles schaffen können), dann wird sie sich auch von Christus gerne und freudig leiten lassen. Darum ist der Perfektionismus so gefährlich! Letztendlich verbirgt sich dahinter die Idee, ohne Christus und aus eigener Kraft absolute göttliche Gerechtigkeit schaffen zu können. Dies kommt in ganz verschiedenen Formen daher: Die römisch-katholische Kirche des Konzils von Trient (Gegenreformations-Konzil) erklärt, Jesus gebe uns die Kraft ohne Jesus gute Werke tun zu können (und schaltet so die direkte, tägliche, stündliche Abhängigkeit von Christus ab) oder die moralisierenden Ideen in allen Kirchen, dazu gehören auch Evangelikale, die oft Erasmus von Rotterdam näher stehen als Martin Luther. Oder wir denken an den offensichtlichen Pelegianismus, der auch die römische Kirche abgesagt hat (aber laut Calvin mit dem Konzil von Trient indirekt, d.h. über Umwegen praktisch doch wieder anhängt. Allerdings nun so christlich ausformuliert, dass es selbst für mich im ersten Moment sehr christlich anhörte.)

Perfektionismus in dieser Welt umsetzen zu wollen - und das aus eigener Kraft - ist sehr gefährlich. In einer geistlichen Weise sind wir in Christus "perfekt", d.h. heilig und rein. Aber das nicht aus uns, sondern aus der Tat von Christus. (Luther spricht von passiver Gerechtigkeit, weil sie geschenkt ist!) Von uns aus, sind wir immer noch die alten Sünder. Wir warten auf das zweite Kommen von Jesus, wo diese geistliche Wahrheit sich ganz entfalten wird. Hier sind wir aus uns noch unperfekt. Hier ist auch die sichtbare Kirche unperfekt: Eben corpus permixtum.

In dieser Welt nach dem Sündenfall zu glauben, ohne Christus eine perfekte Welt schaffen zu können, ist sehr gefährlich. Menschen, die dem Perfektionismus anhangen, sehen oft ihren eigenen Anteil an den Problemen nicht. Sonst kämen sie gar nicht erst auf eine solche Idee. Sie wären verzweifelt. Es ist aber auch gefährlich, wenn wir glauben, vor dem zweiten Kommen von Jesus Christus eine absolut perfekte christliche Gemeinschaft/Kirche aufbauen zu können! Davor warnte eben Calvin. Daraus leitet sich eine barmherzige Haltung gegenüber unseren sichtbaren Kirchen ab: Das beinhaltet aber trotzdem eine aufbauende Kritik an ihr. Wir könnten sagen: Kritik ja, natürlich. Anhand der Bibel sind wir dazu aufgefordert. Es stimmt eben nicht was Erasmus von Rotterdam verlangte: Sich der Kirche und der Bibel zu unterwerfen. Martin Luther korrigiert Erasmus da korrekt: Nur unter die Bibel, Gottes Wort müssen wir uns stellen. Diese befielt uns die Kirche zu kritisieren, damit sie sich korrigieren kann. Und was ist denn unser Christsein anderes, als ein ständiges sich kritisieren lassen von Gottes Wort? Das löst in uns Busse aus, d.h., dass wir zu Christus gehen und uns vergeben lassen und bessere und genialere Wege mit Gottes Hilfe gehen. Aber eben: Nur in Christus wird es im Sinne von Christus und Gott dem Vater absolut gut. Und dies bedeutet indem wir Busse tun für unsere bösen und gute Werke. Und da die Kirche die Mutter von uns Gläubigen ist, muss sie ein Vorbild für Busse sein! Dazu gehört, dass deren Leiter sich gewohnt sind, Busse zu tun. Aelteste, Kirchenvorstände usw. sollten die Freude kennen, bei Jesus Christus und ihren Opfer um Vergebung zu bitten. (Die Freude kommt natürlich erst nach der Demütigung. Aber das kann nur jemand verstehen, der es erlebt hat.) Natürlich sollten Aelteste Vorbilder im Umgang mit ihren Abgründen sein. Davon zeugt die Bibel, indem sie sehr klar die Anforderungen auflistet. Aber auch für solch sehr disziplinierte und barmherzige Menschen, gibt es immer noch viel zu Jesus Christus zu bringen: Gute wie böse Werke. Ihre eigentliche Motive usw. Damit aus ihrem Misst ein guter Dünger für Christus wird!
(Ich gebe zu, meine Worte können diese geistliche Wahrheit kaum gebührend wiedergeben. Man könnte es auch so sagen: Die Kirche ist eine Ansammlung von Sündern, die Heilung sucht. Da ist es von Vorteil, dass deren Verantwortliche darin schon einige Erfahrung sammeln konnten und auch Lehrmässig oder je nach Aufgabe - auch nur Leitungs- und Verwaltungstechnisch - dies ausleben können. Dazu gehört die dienende Haltung, wie es Jesus beschrieb. Dazu gehört die Fähigkeit barmherzig, aufbauend kritisch, väterlich fördernd zu sein UND die Freude der Busse zu kennen. Die Busse ist dabei das Wichtigste, weil niemand, auch kein Aeltester oder Pfarrer perfekt ist. Dazu gehört eine gewisse Fähigkeit der Selbstkritik, die es möglich macht ständig in der Liebe und Weisheit zu wachsen.)

Hier liegt auch die Grundlage für unsere Barmherzigkeit gegenüber allen Menschen UND auch gegenüber den Christen. Dazu wieder Calvin:

"Noch viel weiter aber muss unsere Nachsicht im Ertragen der Unvollkommenheit des Lebens (unserer Brüder und Schwestern) gehen. Denn an diesem Punkt kann man sehr leicht ausgleiten und zu Fall kommen, auch lauert uns hier der Satan mit mehr als gewöhnlicher Hinterlist auf. Denn es hat stets Leute gegeben, die von dem falschen Wahn einer vollkommenen Heiligkeit ergriffen waren, sich einbildeten, als ob sie bereits gleichsam zu Geistern in der Luft geworden wären, und dann aus solcher Gesinnung heraus die Gemeinschaft mit allen Menschen verachteten, an denen nach ihrem Eindruck noch etwas Menschliches übriggeblieben war. Von dieser Art waren vorzeiten die 'Katharer? und die Donatisten, die sich ihrem Wahnwitz anschlossen. von dieser Art sind heutzutage einige von den Wiedertäufern, die den Eindruck erwecken wollen, als seine sie mehr als andere fortgeschritten." (Inst. IV 1,13)

Praktisch kritisiert Calvin somit den Perfektionismus der römisch-katholische Kirche und gewisser Täufer. Ich kenne täuferisch Gesinnte, die dieser Kritik zustimmen. (Uebrigens Täufer sind nicht Baptisten. Es handelt sich hier um zwei verschiedene Konfessionen, auch wenn das deutsche Wort "Täufer" im Englischen "Baptist" bedeutet und in den "germanophonen" Ländern diese Begriffe gerne vermischt werden. Zudem gibt es auch ganz praktisch Gemeinden, wo diese vermischt sind!) Zur Zeit von Calvin gab es noch keine Baptisten und unter den Täuferbewegungen gab es verschiedene Ausrichtungen. Es gab ganz klar nicht mehr christliche, die sogar die Trinität ablehnten und wirklich christliche, Aber selbst den christlichen Täufern wirft Calvin eine zu strenge Kirchenzucht vor, die wohl im Streben nach Perfektion liegt. Calvin mag selber manchmal zu streng gewesen sein. So kritisieren ihn Capito in Strassburg und Heinrich Bullinger in Zürich. Aber Calvin wusste, dass es sich bei Kirchenzucht nur um Äusserliches handeln kann, weil das Herz von uns Menschen nicht beurteilt werden kann. Calvin wusste sehr gut, dass eine Überschreitung dieser Grenze zu Machtmissbrauch führen würde. Erst die Einhaltung dieser Grenze ermöglichte auch die zweite Forderung von Calvin, wenn man Kirchenzucht anwenden musste: nur in Liebe darf Kirchenzucht ausgeübt werden. Über das Herz des Gezüchtigten - oder sagen wir vielleicht heute besser - des Disziplinierten, dürfen wir nicht urteilen. Vielmehr müssen wir betend für ihn einstehen und für ihn hoffen. Calvin findet in der Institutio dafür eindrückliche Bilder. Sogar das "Hinauswerfen" aus der Kirche bedeutet für Calvin nicht, dass der offiziell Verurteilte auch aus der unsichtbaren Kirche verbannt wurde. Dass weiss allein Gott. Calvin hält ganz richtig fest: Dass es uns nie zusteht, darüber zu urteilen, ob jemand von Gott erwählt (und damit zur unsichtbaren Kirche gehört, bezw. endgültig gehören wird, wenn er es auch jetzt gerade noch nicht weiss oder nicht mehr weiss.) oder nicht erwählt wurde. Dass weiss Gott allein. Auch hier macht sich also das Verständnis der sichtbaren und unsichtbaren Kirche positiv bemerkbar. Sicherlich erinnern wir uns auch an Zwingli, der von menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit sprach.

Kirchenzucht ist nicht gerade ein populäres Thema in unserer postmodernen Zeit. Aber in der Bibel wird ein griechisches Wort genutzt, dass Ermahnung und Ermutigung zugleich ausdrückt. Es geht also zusammen, jemanden zu ermutigen und gute Tipps (zur rechten Zeit) zu geben. Die Kirchenzucht selber gibt der Kirche / Gemeinde die Möglichkeit ein Mindestmass an positivem sozialen Verhalten und Zielrichtung der Gemeinde einzufordern. Es ist ein Mittel der Kirche, sich vor Irrlehre und Lieblosigkeit abzugrenzen. Das die Kirchenzucht in der Kirchen-Geschichte immer wieder missbraucht wurde, indem die Irrlehre und Lieblosigkeit nicht damit bekämpft wurde, sondern sogar selber zu einem Werkzeug für Irrlehre und Lieblosigkeit wurde, ist eine Folge des Sündenfalls! Seit dem Sündenfall pervertieren wir das Gute!

Mit diesem Thema könnten wir nun auch zum Thema Aemter der Kirche kommen. Wie äussert sich die sichtbare (unperfekte oder kämpfende) Kirche?

Es gab immer schon in der Gemeinde Gottes verschiedene Aemter. Es wäre interessant dem nachzugehen, wie im Alten Testament das Volk Gottes (die Kirche Gottes) geleitet wurde und wie sie im Neuen Testament strukturiert war. Es gibt eine Kontinuität, die bis heute hineinreichen sollte, damit wir alle davon profitieren können. (Wobei es auch immer berechtigte zeitbedingte und kulturelle Ausformungen gibt.)

Kirche zeigt sich laut Calvin auch im Bekenntnis. Anders als Luther, der von der Selbstgenügsamkeit der Bibel sprach, muss für Calvin der Glaube auch in einem Bekenntnis einen Ausdruck finden. Wie eingangs erwähnt, ist für Calvin nicht nur das Predigen des Wortes Gottes wichtig, sondern auch das Hören auf Gottes Wort. Sinngemäss betont er auch unseren Glauben und unser Bekenntnis, dass wir mit dem eigenen Mund ausdrücken sollen. Spontan kommt mir hier Römer 10,9 – 11 in den Sinn:

„Denn wenn du mit deinem Mund Jesus als den Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn aus den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.
Denn mit dem Herzen glaubt man, um gerecht zu werden, und mit dem Mund bekennt man, um gerettet zu werden;
Denn die Schrift spricht: ‚Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden  werden!‘“

Daher sind für Calvin auch die Bekenntnisse sehr wichtig. Auch Luther hat natürlich seinen Glauben deutlich schriftlich niedergeschrieben. Auch für Luther war die Lehre wichtig. Hier weichen beide von der evangelischen Realität von vielen Landes- und Freikirchen ab. Einen Einwand, den ich in einer FEG gehört habe, war: Man will direkt auf das Wort Gottes hören. Interessanterweise ist allein schon dieser Satz ein Glaubensbekenntnis: Er glaubt an die Alleingenügsamkeit des Wortes. Und das ist sicherlich wahr. Nur: Jede Predigt und auch jeder weiterführende Unterricht beruht auf einem Glaubensbekenntnis, dass die Lehrenden verinnerlicht haben. Es wäre daher offener, wenn sie diese verinnerlichten Lehren auch schriftlich zum Ausdruck brächten. So geben sie Auskunft und bekennen auch schriftlich, was sie glauben. In diesem Sinne ist das Glaubensbekenntnis auch immer ein bekennen, was man von der Bibel verstanden hat. Natürlich muss dieses Bekenntnis immer wieder anhand der Bibel überprüft werden. Und das kann man besser, wenn man es niederschreibt. Und warum ist dies so? Oft glauben wir auch Dinge, dessen wir uns gar nicht so bewusst sind. Formuliert man dies in Worten, legt man sich selber Rechenschaft ab, was man alles so glaubt und man macht den eigenen Glauben auch intellektuell und geistlich überprüfbar. Zudem gibt es seit jeher gute Glaubensbekenntnisse, wie das Apostolische Glaubensbekenntnis. Solche alten und allgemeine Glaubensbekenntnisse helfen uns, den „Anschluss“ an diese Christen zu finden. Wir müssen nicht alles neu erfinden. Natürlich gibt es auch konfessionelle Glaubensbekenntnisse. Die reformierten Landeskirchen der Schweiz haben das zweite Helvetische Glaubensbekenntnis im 19. Jahrhundert als verpflichtendes Bekenntnis abgeschafft. Man lebt nun eine Bekenntnisfreiheit, die nicht selten als Bekenntnislosigkeit wirkt. Dagegen würde heute wohl Johannes Calvin mächtig auftreten. Eine Kirche braucht ein bindendes Bekenntnis, das erklärt, für was sie steht. Zur eigenen Orientierung und zum eigenen Vorteil!
Ohne Bekenntnis droht die sichtbare Kirche vom Wind mal dahin und mal dahin getrieben zu werden. Das kann je nach Zeitgeist sehr gefährlich sein.
Zudem ist eine gut geordnete Kirchenzucht ohne Glaubensbekenntnis nicht wirklich möglich. Eine Kirche / Gemeinde ohne Glaubensbekenntnis mit einer Kirchenzucht droht viel schneller die Gemeindezucht als Machtmittel zu missbrauchen. Denn es fehlt eine Verfassung oder eben das Glaubensbekenntnis, dass den Sinn und die Grenzen der Massnahmen aufzeigt. Man wird einwenden, die römische Kirche hat eine wirklich durchdachte Struktur, auch i. S. Glaubensbekenntnis. Trotzdem mangelt es ihr nicht an Machtmissbrauch. Hier möchte ich aber erwähnen, dass gewisse Punkte korrigiert werden müsste. Es fehlt ihr die Ausrichtung allein auf die Bibel. Es gibt Tendenzen wo man Menschen mehr Autorität als der Bibel verleiht. Daher ist diese Kirche auch zu hierarchisch aufgebaut. Denn auch eine Episkopal-Kirche muss nicht so extrem hierarchisch sein, wie andere Episkopal-Kirchen wie Anglikaner und Lutheraner sowie Methodisten zeigen. Zu grosse Abhängigkeit vor Menschen anstelle dem Wort Gottes und damit dem Recht fördert zwangsweise die Korruption und Machtmissbrauch (s. Bibel, die vor Menschenfurcht als Fluch warnt.). Zudem gibt es Personen in diesem Umfeld, die glauben, wer mehr Macht zu haben,  erlaube es ihnen, sich mehr zu erlauben als andere. Dabei ist es gerade umgekehrt! (Aber das ist ein Problem, das es überall in Schamgesellschaften gibt.) Es sollte uns nicht erstaunen, dass Calvin von Leitern eine strengere Kirchenzucht verlangte, als von Menschen, die weniger Macht besitzen.

Daher halte ich fest: Noch viel schneller als in einer Kirche mit Glaubensbekenntnis können Mächtige der Kirche ihre eigenen Ideen mittels Machtmissbrauch verwirklichen und so viel Schaden an der Kirche und damit auch an den Menschen verursachen.
Selbst 68-er, welche alle Normen einst abschaffen wollten, würden wohl zustimmen müssen, dass man eine gewisse Ordnung braucht, damit dem Machtmissbrauch Einhalt geboten wird. Die Einschränkung des Machtmissbrauchs ist ein wichtiger Bestandteil der Kirchenzucht. Wie erwähnt forderte Calvin von den Leitern der Kirche eine viel strengere Kirchenzucht, als von einem Christen, der keine Macht ausübt. Das ist logisch und entspricht dem Geist der Bibel. Denn Mächtige können viel mächtiger Machtmissbrauch tätigen. Oder wie heisst es: Macht korrumpiert. Viel Macht korrumpiert absolut. Damit das anständig und in gesunden Grenzen funktioniert, braucht es festgelegte Ordnungen. Jene Institutionen, die die Ordnung und Freiheit erhalten wollen, brauchen daher klare Grenzen und Arbeitsfelder, damit sie nicht selber eine willkürliche Unordnung erstellen.




(Diese Gedanken wurden angeregt durch eine Zusammenstellung eines Pfarrers. Ich gebe gerne dazu weitere persönliche Auskünfte.)

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