Luther war von der Gnadenlehre von Gabriel Biel, 1410 - 1495 (sein Buch die
Sentenzen des Lombarden), der sich auf Occam stützte, in grosse seelische Nöte geraten.
Obwohl Luther zeitweise dachte, es erreicht zu haben, schaffte er die
geforderte Zerknirschung und selbstlose Liebe nicht. Mit der Zerknirschung, der
contritio cordis, sollte man von der amor consupiscentiae = begehrenden Liebe zur amor amicitiae = Freundesliebe gelangen. Die erste Liebe
bedeutet nur aus egoistischen Gründen und aus Furcht vor der Hölle zu lieben.
Bei der zweiten Liebe denke man nicht mehr an sich, sondern nur noch an Gott.
Das problematische war, dass man die zweite Art der Liebe mit dem Heil verband:
Nur wer so Gott liebt, erfahre Absolution = Sündenvergebung. Erst wenn der
Mensch diesen Zustand erreiche, erfolge die Eingiessung der Gnade (= infusio
gratiae). Damit sei die persönliche und aktuelle Sünde vergeben und der Sünder
wirklich gerecht. Aber es bleibe als unpersönlicher Restbestände die Erbsünde.
Das ist – auch wenn das die römisch-katholische Lehre leugnet, praktisch das,
was auch Pelagius im 5. Jahrhundert lehrte und von der Kirche als Irrlehren
verurteilt wurde. Für Luther war der Occamismus (und versteckter Pelegranismus) eine
psychische Hölle, weil er merkte, dass er das nicht konnte. Die Prädestination,
ja Gott selber, schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Sein augustinischer
Chefmönch Staupitz zeigte in dieser Not auf Christus. Nun begann Luther zu
begreifen, dass die Pein und Qualen, die er erlitt, kein Zeichen der Verwerfung
ist, sondern Gott arbeitet an ihm. Hier findet eine Identifikation mit Christus
statt. Christi Leiden bringt seine Probleme und seine Sünde ans Kreuz. Dafür war Luther Staupitz
sein ganzes Leben dankbar. "Staupitz führt Luther aus der nominalistischen
Busslehre an den Trost des Evangeliums (Christi Wunden) heran. Das ist Luthers
erste "Bekehrung": Gnade und Trost des Gewissens haben nichts mit
menschlichen Bussübungen zu tun, sondern mit dem gekreuzigten Christus. Durch
ihn wirkt Gott das Heil allein." (Seite 38: 2000 Jahre Kirchengeschichte,
3. BAND, Sierzyn.) Das ist aber noch nicht die volle evangelische Freiheit,
denn Staupitz glaubt neben der Gnade auch an das Heil durch Werke. Von dieser
Halbheit wird Luther durch sein "Turmerlebnis befreit: Allein aus Gnaden.
Gerechtigkeit Gottes erlangt man nur als Geschenk. Es ist eine passive
Gerechtigkeit und keine aktive. Alle Gerechten der Bibel wurde die
Gerechtigkeit von Gott geschenkt. Sie haben es sich nicht schaffen oder
abverdienen können. Niemand kann aus sich so leben und lieben wie Gott der
Vater und Christus und der Heilige Geist es kann. Daher können wir auch nur als
Sünder zu Christus gehen. Christus macht alles neu, aus uns sind wir Sünder,
die die Hölle verdient hätten. Wir selber sind aus uns nicht besser. Das ist
eine grosse Freiheit: Wir dürfen ehrlich mit allem Misst zu Jesus, der daraus
guten Dünger macht. Täglich kommt aus unserem Herzen Misst, den wir sofort
Jesus übergeben dürfen. Dabei ist Gottes Wort, die Bibel unsere
Heilsgewissheit. Weil in der Bibel uns das versprochen wird, dürfen wir sicher
in Christus sein und nicht, weil wie es spüren. Gottes Heil zu schmecken ist in
dieser Zwischenzeit bis zum zweiten Kommen von Christus "nur" eine
Folge des Lesens und Vertrauens in die biblischen Verheißungen = Versprechen
Gottes. Das ist auch ein grosser Unterschied zum Neuprodestantismus eines
Schleiermacher. Schleiermacher und dessen Neuprotestanten irren sich, wenn
sie meinen, eine besondere Not, Anfechtungen, Leid schaffe unsere Rechtfertigung.
Auch die Idee einer besonderen Erfahrung, religiöse Gefühle, besondere Demut,
Reue, Glaube, Sündennot schafft nie unsere Rechtfertigung oder unsere
Heilsgewissheit. Denn all diese Erfahrungen sind selber nur relativ. Sie sind
wackelig wie der religiös erfahrende Mensch generell. Wer ein solches Geschenk
erhalten hat, muss sich dennoch auf Gottes Wort verlassen. (Sie sind sowieso
nur Ausnahmen und die Abgrenzung zwischen von Gott gewirkt, psychischen
Bewegungen und anderem nicht immer einfach.) Und wer keine besonderen
religiösen Erfahrungen hat (was für die meisten gilt), muss darum auch nicht
traurig sein. Vielmehr darf er dankbar sich alleine auf Gottes Verheißungen
stützen. Luther sagt es treffend: "Die Worte Christi sind Sakramente, durch welche er unser Heil
wirkt." (in einer Predigt von Luther, Weihnachten 1519). Somit
steht und fällt der Glaube mit dem Wort Gottes, der Bibel. "Und dieses
Wort ist nicht das Produkt des frommen Selbstbewusstseins der Urgemeinde, das
wäre modern gedacht, es ist Gottes schöpferische Tat selber." Gott zieht
uns als Bettler seine Gerechtigkeit wie ein neues Kleid an.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen