Ich muss sagen, ich habe nicht die gleiche Begeisterung für Fjodor Michailowitsch Dostojewski wie Herr Spieker. Aber eindrücklich ist dieser russische Schriftsteller wirklich. Er lebte vom 11.11.1821 in Moskau bis am 9.2.1881 in Sankt Petersburg.
«Der Mensch ist ein Geheimnis. Man muss es enträtseln.»
Ich dachte immer,
Lenin und der Kommunismus sei von aussen auf Russland eingedrungen.
Tatsächlich spürte schon Dostojewski, dass eine solche Entwicklung möglich war.
Er selber durchlitt viel. Einiges hat er sich selber eingebrockt. Auch dies hat
in geprägt und hat er in seinen Schriften verarbeitet.
Sein christlicher Glaube legte er als junger Mann ab und las
in einer revolutionären Gruppe entsprechende Schriften vor. Das brachte ihn mit
anderen vor ein Schein-Erschiessung, die in Gefängnis und in die Verbannung nach
Sibirien umgewandelt wurde. Seit dieser Schein-Exekution legte er viel Wert auf
wirkliches Leben. Er war nicht wie Nietzsche usw. nur ein Theoretiker. Er
wollte Leben, selbst auf die Gefahr Fehler dabei zu machen. Und das machte er
auch und war sich dessen bewusst.
Im Gefängnis in Sibirien wurde er wieder Christ. Sein Zweifel
gehörte zu seinem Glauben. In dieser Spannung zwischen seinem Glauben, seinen
Zweifeln und den Schrecken seines Lebens entstand sein Beitrag zur
Weltliteratur. In einem Roman argumentierte er so gegen den Glauben an Gott und
Christus und verarbeitete damit seine eigene Zweifel, dass er sagen konnte,
dass seine Zweifel viel grösser und gründlicher waren, als die gängigen
atheistischen Argumente. Hier sieht man auch, wie extrem Dostojewski sich in
ein Thema gibt. Stefan Zweig folgert daraus, dass Dostojewski nicht an Jesus
Christus glaubte. Aber Zweig verstand nicht, dass der Zweifel zum Glauben gehört.
Und gerade Dostojewski hatte sehr starke Zweifel, mit denen er gerungen hat. Und
er war auch gegen jene, die diese Zweifel genährt haben, sehr wütend. Ich gebe
hier seine starken Worte nicht wieder. Oft gehen seine Geschichten nicht gut
aus. Manchmal scheint sein Glaube nicht in der Geschichte vorhanden zu
sein. Es mag mal eine Bekehrung geben
und manchmal beginnt jemand neu. Aber oft fallen die Menschen ihren eigenen
Ideen zum Opfer und sogar, wenn sie dies
entdeckten und es korrigieren, gibt es kein Happy End. Allerdings wirkt
dann sogar eine den Tod überdauernde Hoffnung nach … Viele verstanden ihn nicht
und so war Nietzsche wie eine okkulte russische Persönlichkeit von Dostojewski
angetan. Aber es war wohl seine Genialität, dass seine Geschichten verschiedene
Interpretationen haben. Also genau das, was wir ja im wirklichen Leben auch
haben.
Und manchmal liest bei ihm einfach von einem psychisch
kranken Menschen, dass einem die Ohren wackeln. Zugleich können die Geschichte Wendungen
nehmen, die man nicht für möglich gehalten hätte.
Im Alter wird Dostojewski auch in seinem Leben ruhiger.
Wenigen Wochen vor seinem Tod, hält er eine Rede zum Gedenken Puschkin, die wie
eine Bombe einschlägt:
«Mit heiserer, gepresster Stimme hält er die Rede seines Lebens. Mit seinem Tribut an
Puschkin entfaltet er eine grosse Vision von der Bestimmung des russischen
Volks. Im Streit zwischen Westlern und Slawophilen schlägt er sich auf keine
Seite, sondern ruft zum gemeinschaftlichen Aufbruch in ein neues Zeitalter der
Menschenliebe auf. Die Wirkung der liebevoll-leidenschaftlichen Ruck-Rede ist
phänomenal.» schreibt Spieker.
Der Saal soll getobt haben. Dostojewski schreibt am 8.6.1880
an eine Ehefrau Anna:
«Unbekannte Menschen im Publikum weinten, schluchzten,
umarmten sich und schworen einander, besser zu werden, einander in Zukunft
nicht mehr zu hassen, sondern zu lieben. Der verlauf der Sitzung war gestört:
Alle stürzten zu mir aufs Podium, vornehme Damen, Studenten – all das umarmte
und küsste mich. Alle Mitglieder unserer Gesellschafft, die sich auf dem Podium
befanden, umarmten und küssten mich; alle, buchstäblich alle, weinten vor Begeisterung.
Der Applaus dauerte wohl eine halbe Stunde, man winkte mir mit Taschentüchern
zu, da hielten mich plötzlich zwei unbekannte alte Herren fest und sagten: ‘Wir
waren zwanzig Jahre lang verfeindet, sprachen nicht miteinander, jetzt aber
haben wir uns umarmt und versöhnt.
Sie sind es, der uns versöhnt hat. Sie sind unser Heiliger,
unser Prophet! (…)
(Meine Anmerkung: Gott gehört doch allein die Ehre!)
Ich flüchtete mich in die Kulissen, aber schon drangen alle aus
dem Saal und, vornehmlich Frauen, auch dort ein. Sie küssten mir die Hände,
setzten mir zu. Studenten kamen herbeigeeilt. Einer von ihnen fiel
tränenüberströmt in Hysterie vor mir zu Boden und verlor das Bewusstsein. Es
war ein entscheidender sieg auf der ganzen Linie. (…) Das ist ein Pfand auf die
Zukunft, ein Unterpfand auf alles, selbst wenn ich sterbe.» (S. 525).
Leider wurden dann im 20. Jahrhundert die schlimmsten
Ahnungen von Dostojewski für Russland war.
Und das war für mich erstaunlich: Dostojewski sah die Gefahren der
damaligen neuen Denkweise für die Zukunft. Mit seinen Arbeiten als
Schriftsteller hat er nicht nur sein Leben aufgearbeitet. Er wollte auch vor
dieser Entwicklung warnen und dagegen anschreiben. Gott schenkte es, dass er
mit einer einzigen Rede tief zu den Herzen der Menschen reden durfte.
«Als der Schriftsteller zu Grabe getragen wird (übrigens mit
einer spontanen und nicht geplanten Beerdigung, welcher der Zar bezahlte: meine
Anmerkung) ist Lenin neun Jahre alt, Stalin zwei, und Alois Hitler hat sich
gerade von seiner zweiten Frau getrennt; mit der dritten wird er seinen
Sohn Adolf zeugen. Dostojewskis schlimmste Befürchtungen
werden im 20. Jahrhundert von der Wirklichkeit noch übertroffen.»
Auch den Abgesang der
europäischen Intellektuellen auf Gott hat Dostojewski nicht zum Verstummen bringen
können. Ein Jahr nach seinem Tod lässt sein Bewunderer Friedrich Nietzsche in ‘Die
fröhliche Wissenschaft’ den Ruf ‘Gott ist tot’ erklingen.
Also doch alles vergeblich?
Die ungebrochene Resonanz, die Dostojewski immer noch geniesst,
spricht eine andere Sprache. Seine Botschaft hat unzählige Adressaten gefunden,
sein Vermächtnis hat Millionen von Menschen bereichert. Er lebt fort in
Büchern, Gesprächen und den Handlungen …» Schreibt Spieker.
Auf seinem Grabstein steht Johannes 12,24, welcher auch in
seinem letzten Buch «die Brüder Karamasow» vorangestellt ist:
«Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt ,
bleibt es allein; wenn es aber stirbt,
bringt es viel Frucht.»
Dostojewski wusste um seine Fehler.
Er war ein Beter. Ein Freund, Stepan Janowski schreibt über
ihn:
«Dostojewskis wirksamste Medizin gegen Krankheiten der Seele
war immer das Gebet, und er betete nicht nur für unschuldige, sondern auch für offenkundige
Sünder.»
Als er wegen Unvorsichtigkeiten seines Herausgebers für ein
paar Tage im Gefängnis war, schreibt der Gefängniswärter:
«Er betete jeden Abend vor dem Schlafengehen, stand lange Zeit
in einer dunklen Ecke, die Hände auf der Brust gekreuzt.
Nachdem er sein Gebet beendet hatte, ging er auf die Knie,
nahm ein Kreuz von seinem Hals und küsste es, und dann, ohne
wein Wort zu sagen, ging er zu Bett.» (K. I. Karepin) (S. 506)
«Der Geist des wahren Christentums ist: vollständige
Glaubensfreiheit. Glaube freiwillig! Das ist unsere Formel. Der Heiland stieg
nicht vom Kreuz herab, gerade weil er uns nicht gewaltsam durch ein äusseres Wunder
bekehren wollte, sondern weil er eben die Glaubensfreiheit wollte.» (S. 503)
«Das Wesen des religiösen Gefühls wird weder durch
vernunftmässige Überlegungen noch durch Vergehen und Verbrechen, noch durch
atheistische Anschauungen berührt; es ist etwas Andersartiges und wird in alle
Ewigkeit etwas Andersartiges sein; die Lehren des Atheismus werden in alle
Ewigkeit davon abgleiten und in alle Ewigkeit daran vorbeireden.» (aus der «Idiot)
(S. 503)
«Ohne Jesus gibt es nur das Nichts.» (aus Notizen zu «Die
Brüder Karamasow) (S. 502)
«Die Hölle ist der Schmerz darüber, dass man nicht mehr
lieben kann.» (aus «Die Brüder Karamasow)
Da er nach der Wahrheit sucht, kritisiert er auch alles. Er
sieht den Protestantismus auf dem Weg in den Atheismus. Den römischen Katholizismus
wie den Sozialismus als
Er geht auch zu einer Predigt eines Erweckungspredigers. Hier
verstehe ich ihn nicht: Warum hat er nicht einfach Freude an den Veränderungen
der Menschen? Er sieht darin vor allem die Schwächen der Grosskirchen: Orthodoxen
Kirche, Anglikanischen Kirche usw. Er hat Angst vor der Vielfalt der Kirchen
und vor dem Individualismus. Letzteres ist sicherlich berechtigt. Aber wenn
verschiedene Kirchen in Christus sind, finde ich das kein Problem. Im
Gegenteil, denn auch Grosskirchen bestehen aus verschiedenen Strömungen.
Wichtig ist nur, dass wir in Christus sind und damit auch in seiner Liebe, die
auch für Dostojewski so wichtig war und sicherlich ist (Gegenwart, da Dostojewski
an die Auferstehung in Christus glaubte! und dies durch die Gnade Gottes erleben
wird.)
So kritisiert er:
«Sie haben ihre Wissenschaft, doch in der Wissenschaft ist
nur das enthalten, was den Sinnen unterworfen ist. Die geistige Welt aber, die
höhere Hälfte des menschlichen Wesens, wird vollständig negiert und mit einem
gewissen Triumph, ja sogar mit Hass zurückgewiesen. Die Welt hat die Freiheit
verkündet, besonders in der letzten Zeit – und was sehen wir als Resultat
dieser ihrer Freiheit? Nur Knechtschaft und Selbstmord! Denn die Welt sagt: ‘Du
hast Bedürfnisse, darum befriedige sie; du besitzt dasselbe Recht wie die Vornehmsten
und Reichsten! Scheue dich nicht, sie zu befriedigen, sondern steigere sie
sogar noch!’ Das ist die heutige Lehre der Welt. Darin sehen sie die Freiheit.
Und was ist die Folge dieses Rechts auf Steigerung der Bedürfnisse? Bei den
reichen Isolierung und geistiger Selbstmord, und bei den Armen Neid und Mord.
Denn das Recht haben sie ihnen zwar gegeben, doch die Mittel zur Befriedigung
der Bedürfnisse haben sie ihnen nicht gewiesen. Sie versichern, die Welt werde
sich immer mehr einigen, sich zu einer brüderlichen Gemeinschaft
zusammenschliessen, indem sie die Entfernungen verkürzt und die Gedanken durch
die Luft übermitteln. O weh, glaubt nicht an eine solche Einigung der Menschen!
Dadurch, dass sie unter Freiheit nur Steigerung und schnelle Befriedigung ihrer
Bedürfnisse verstehen, verderben sie ihre Natur, weil sie in sich viele
sinnlose, dumme Wünsche und Gewohnheiten und törichte Einfälle wecken. Sie
leben nur, um einander zu beneiden und ihre Lüste und ihre Eitelkeit zu
befriedigen. Diners, Spazierfahrten … hoher Rang und knechtische Untergebene:
Diese Dinge gelten bereits als so notwendige Bedürfnis, dass sie sogar ihr Leben,
ihre Ehre und ihre Menschenliebe opfern, um …
… Und daher erlischt in der Welt mehr und mehr die Idee, der
Menschheit zu dienen, die Idee der Verbrüderung und Solidarität aller Menschen.
Diese Idee wird tatsächlich bereits verhöhnt …
» (Seite 478+479)
(aus die Brüder Karamasow)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen