Freitag, 26. Oktober 2018

Zwei Arten von Theologie

Es gibt prinzipiell zwei Arten von Theologie: 

die natürliche Theologie 

und

die dogmatische Theologie.

Die natürliche Theologie ist praktisch ein Zweig der Metaphysik. Aristotels zum Beispiel betrieb natürlich Theologie, wenn er vom vom "unbewegten Beweger" spricht. Der kam aus seinem Denken darauf, dass es diesen unbewegten Beweger, also Gott, geben muss. Dazu schreibt Mortimer J. Adler in seinem Buch "Wie man  ein Buch liest":

"Wenn man sich beispielsweise fragt, ob das Kausalitätprinzip ein endloser Prozess ist, hat eine positive Antwort ein immer weiteres Zurückbewegen zur Folge. Man muss deshalb eine ursprüngliche Ursache postulieren, die ihrerseits ohne Ursache ist. Aristoteles nannte sie den 'unbewegten Beweger'. Man konnte andere Namen erfinden  man könnte sogar sagen, dass es sich dabei nur um eine andere Bezeichnung für Gott handelt , aber worauf es in Wahrheit ankommt, ist, dass man ohne äussere Hilfe bei dieser Vorstellung angelangt ist, durch Gedankenarbeit." (Seite 311)

Die dogmatische Theologie unterscheidet sich von dieser Vorgehensweise, indem sie sich generell von einem wichtigen Punkt dieser philosophischen Vorgesehnsweise abgrenzt. Allerdings ist der Unterschied auch nicht so gross, wie es im ersten Moment zu scheinen scheint. Denn man denkt auch hier. Nur geht man hier von Dogmen aus. Herr Adler glaubt sogar von Dogmen und der Autorität der Kirche. Aber gerade letzteres wurde von den Reformatoren hinterfragt. Martin Luther kritisierte Erasmus von Rotherdam, weil dieser den Verstand unter die Bibel und die (sichtbare) Kirche stellen wollte. Luther spricht sogar von einer neuen Religion (s. unfreier Wille (oder besser vom Lateinischen Uebersetzt: versklavten Wille) von Martin Luther). Vielmehr fordert uns die Bibel auf, die sichtbare Kirche ganz praktisch anhand der Bibel, dem Wort Gottes zu hinterfragen. Zwischen Luther und Erasmus fand also ein dogmatischer Streit ab, nämlich wer die Dogmen letztendlich bestimmt. Luther, wie alle anderen christlichen Reformatoren waren der Meinung, dass dies die Bibel und damit Gott selber tut und kein Mensch, auch nicht die sichtbare Kirche dieser Welt. Diese Ueberzeugung hinderte die Reformatoren aber nicht, Kirchenväter zu zitieren. Ganz im Gegenteil: Calvin verweist gerne auf die Kirchenväter, die dies auch so sahen.

Herr Adler fordert dabei von Nichtgläubigen etwas sehr interessantes:

"Auch wenn sie diesem Glauben nicht angehören, können Sie dennoch eines seiner religiösen Bücher richtig lesen, indem Sie die Dogmen mit demselben Respekt behandeln wie die Annahme, von denen ein Mathematiker ausgeht. Der Glaube ist für diejenigen, die ihm anhängen, die sicherste Form der Erkenntnis, er ist nichts, was man versuchsweise wählt.
Das zu verstehen scheint für viele Menschen heute schwierig zu sein. Bei theologischen Werken unterlaufen ihnen zwei typische Fehler. Erstens weigern sie sich, auch nur für eine gewisse Zeit, die Glaubensgrundsätze zu akzeptieren. Das Ergebnis ist, dass  die Leser sich mit ihnen schwer tun und dem Buch nicht die richtige Aufmerksamkeit widmen. Zweitens gehen sie davon aus, dass die auf den dogmatischen Prämissen aufgebaute Argumentation ebenfalls dogmatisch ist. Es stimmt natürlich, dass man, wenn man bestimmte Prämissen akzeptiert hat und die Argumentation stimmig ist, dann auch die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen akzeptieren muss. Sind  jedoch  die Folgerungen falsch, führen die besten Prämissen zu ungültigen Schlussfolgerungen.

Wir sprechen hier von den Schwierigkeiten, denen sich ein ungläubiger Leser bei der Lektüre eines theologischen Werks gegenübersieht. seine Aufgabe besteht darin, die Prämissen als wahr zu akzeptieren, während er das Buch liest, und es mit all der Sorgfalt zu lesen, die ein belehrendes Buch verdient. Der Gläubige sieht sich bei einem Buch, das für seinen Glauben wesentlich ist, anderen Schwierigkeiten gegenüber. Diese Probleme beschränken sich jedoch nicht auf das Lesen von theologischen Büchern."

Herr Adler ist ein sachlicher Mensch. Das Thema seines Buches ist, wie man ein Buch richtig liest. Wie versteht man die Botschaft darin. Dazu erklärt er auch, wie man vorgängig herausfindet, ob ein Buch sich lohnt, sich soviel Zeit darin zu investieren. 

Danach geht er auf Seite 312 auf kanonische Bücher ein. Da er in einem christlichen Umfeld lebte (und schon damals die Umwälzungen in den USA bemerkte), kommt bei ihm ganz natürlich zuerst die Bibel in den Sinn: "Das wichtigste Beispiel ist die Bibel, wenn man sie nicht wie Literatur, sondern als die Offenbarung Gottes liest." Aber er weitet diesen Begriff der kanonischen Bücher aus:

"Orthodoxe Juden lesen das Alte Testament auf diese Weise, Christen das Neue Testament (Ich würde anfügen und das Alte Testament ebenso), Muslime den Koran, orthodoxe Marxisten die Werke von Marx und Lenin und, je nach politischem Klima, die Stalins, orthodoxe Freudianer lesen die Werke Freuds und die Offiziere der US-amerikanischen Armee das Infantry Manual. 
Eigentlich waren wir alle schon einmal in der Situation, kanonisch lesen zu müssen. Ein junger Jurist, der das Examen bestehen will, das ihm die Zulassung als Anwalt ermöglicht, muss gewisse Texte auf gewisse Weise lesen, damit er die notwendige Punktzahl erreicht. Dasselbe gilt für Aerzte und andere akademische Berufe. Wir alle mussten als  Studenten einen Text so lesen, wie unser Professor ihn interpretierte, sonst hätten wir nicht bestanden. (Natürlich ist es nicht so, dass alle Professoren ihren Studenten durchfallen lassen, wenn sie anderer Meinung sind!)

Man kann die typische Eigenheit dieser Art des Lesens vielleicht in dem Wort 'orthodox' zusammenfassen, da es so gut wie immer passt. Es kommt aus dem Griechischen und bedeutet 'von richtiger Meinung'." (Seite 313)

Herr Adler geht diesen Gedanken noch mehr nach. Für mich als Christ möchte ich dazu natürlich erwähnen, dass ich daran glaube (= Dogma), dass die Bibel Gottes Wort ist. Es ist also wichtig, dass ich Gottes Wort lese. Da die Bibel sehr komplex ist, stellt sich allerdings noch eine andere Frage: Wie verstehe ich es, wie es in der Bibel gemeint ist. Auch das ist eine Denkarbeit + im Gebet bitte ich Gott um den Heiligen Geist als Hilfe dazu. Das alles ist nicht irrational:. Ganz im Gegenteil. Zugleich möchte ich aber mehr erfahren, als ich durch mein eigenes Denken lernen kann. Es ist also etwas, das noch weiter geht als Philosophie. (Wir erinnern uns: Philosophie ist zu Erkenntnis kommen durch das eigene nachdenken.) Da Gott ausserhalb der Schöpfung und Zeit steht, kann er nicht anhand von Naturwissenschaft beschrieben werden. Auch die Metaphysik, die erklärt, kann hier nicht ganz greifen (unvollständig schon, wie Aristoteles mit dem unbewegten Beweger). Gott muss sich selber offenbaren. Ich glaube, dass dies die Bibel ist, indem er sich vorallem offenbart. (Gott hat natürlich noch andere Möglichkeiten. Aber es ist die übliche Methode. Doch gerade auch in der Bibel finden wir Offenbarungen Gottes, die anders passierten: Das Grösste davon war Jesus Christus, der zu uns kam.)

Interessant ist, was Herr Adler auf Seite 314 noch dazu erwähnt:

"An dieser Stelle müssen wir aufhören. Die Aufgabe, die Bibel zu lesen  wenn Sie an das Wort Gottes glauben - ist die schwierigste Leseaufgabe überhaupt. Es wurden mehr Bücher darüber geschrieben, wie man die Heilige Schrift liest, als über alle anderen Aspekte der Lesekunst zusammen. Das Wort Gottes ist offenkundig das Schwierigste, was der Mensch lesen kann; aber es ist auch, wenn man daran glaubt, dass es tatsächlich das Wort Gottes ist, das Wichtigste. Man darf wohl sagen, dass es in der Tradition des Abendlandes das Buch in mehr als einer Bedeutung des Wortes ist. Es ist nicht nur das am meisten gelesene, sondern auch das am gründlichsten gelesene Buch."




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